Arkonadas Totenbuch
Suko deutete auf ihn. »Schade, daß er nicht reden kann. Der hätte uns sicherlich einiges erzählen können.«
Da gab ich ihm recht.
Es war nicht zu heiß. Der Ort lag ziemlich hoch, über viertausend Fuß, und man spürte schon die dünne Luft. Den Wind empfand ich als angenehm kühl. Die Mauer der alten orthodoxen Kirche warf einen Schatten, in dem Suko und ich uns aufhielten.
»Was machen wir?« fragte mein Freund.
»Menschen suchen.«
»In den Häusern?«
»Wo sonst?«
»Wir sollten uns die Kirche vornehmen«, schlug mein Partner vor. »Sie steht am nächsten.« Damit war ich einverstanden.
Die Eingangstür befand sich in unmittelbarer Nähe. Wir brauchten uns nur umzudrehen. In der Kirche empfing uns eine schon zu große Kühle. Auf meinen Armen breitete sich die Gänsehaut aus. Da außerhalb der Mauern, aber trotzdem in ihrer Nähe die Zypressenbäume standen, filterten sie das meiste Sonnenlicht, ließen nur einen Teil frei, der durch die schmalen Fenster der Kirche fiel und lange Bahnen auf den Boden warf.
Wir sprachen nicht.
Jeder, der eine Kirche betritt, empfindet wohl so etwas wie Ehrfurcht, weil er zumeist die Welt der Hektik hinter sich gelassen hat und eine Oase der Stille betritt. Uns erging es nicht anders. Zwar lag hinter uns keine hektische Welt, trotzdem hatten wir das Gefühl, in eine andere Ruhe hineingetreten zu sein.
Dunkel gebeizte und handwerklich hervorragend gedrechselte Bänke standen rechts und links des Mittelganges, der zu einem kleinen Altar führte. Sehr oft findet man gerade in Kirchen, die in verlassenen Gegenden stehen, hervorragend gearbeitete Kunstschätze, wie Figuren, Bilder oder Kreuze.
Das war auch hier der Fall, nur unterschieden sich diese Bilder und Figuren von anderen in einem entscheidenden Punkt. Sie waren zerstört!
Mir fiel es zuerst auf, da ich einen Blick nach links über die Bankreihen hinweg geworfen hatte, wo dicht an der Wand eine kleine Insel aus brennenden Kerzen stand.
Ihr Schein fiel nach oben und traf das Bild eines Heiligenkopfes, das jemand zerschnitten hatte. Ich lief durch die Bankreihe, meine Schritte hinterließen polternde Geräusche, dann stand ich vordem Bild und schüttelte den Kopf.
Die beiden Schnitte bildeten ein diagonales Muster. Von dem Gemälde war nichts mehr zu retten.
Auch Suko war herangekommen. Neben mir blieb er kopfschüttelnd stehen. »Wer tut denn so etwas?« fragte er.
»Das weiß ich auch nicht.«
»Frevler?«
»Kaum oder ja, wenn du diesen Ausdruck anstelle des Dämonendieners nehmen willst.«
»Elis Diener«, flüsterte Suko.
Ich war einverstanden, ging aber nicht weiter auf seine Bemerkungen ein und schaute mir das folgende Bild an. Es hing eine Körperlänge entfernt an der gleichen Wand und zeigte ebenfalls den diagonal angesetzten Schnitt der Zerstörung.
Was sollte man dazu sagen? Uns hatte es im wahrsten Sinne des Wortes die Sprache verschlagen.
»Jemand muß hier seinen Haß ausgetobt haben«, flüsterte ich. »Und das mit aller Schärfe.«
Suko widersprach mir nicht. Wie auch ich, so ging er ebenfalls weiter, wobei wir uns dem Altar der kleinen Kirche zuwandten. Rechts davon sahen wir eine Tür, die sicherlich in die Sakristei führte. Am Altar brannte keine Kerze. Die drei Stufen waren nur als Schatten zu erkennen, und mir kroch ein unangenehmes Gefühl über den Rücken, als wir uns dem Zentrum der Kirche näherten. Ich verspürte zwar keine direkte Angst, glaubte aber, daß irgendwo etwas auf uns lauern würde. Diese Kirche besaß eine besondere Ausstrahlung, sie war entweiht worden. Hier wehte der Odem des Bösen über die Bänke. Die anderen Kräfte hatten auch vor dem Altar keine Ehrfurcht gezeigt. Ein prächtiges orthodoxes Doppelkreuz lag, von großer Kraft zerbogen, am Boden. Vasen, ein zerrissenes Gebetbuch, ein Kelch, der einen Tritt bekommen hatte und Flecken zeigte.
Suko hob den Kelch auf, ging zwei Schritte zur Seite und hielt ihn gegen das Licht. Ich hörte seinen flüsternden Kommentar. »John, an ihm klebt Blut.«
Ich wandte mich um. Suko deutete mit seiner freien Hand auf eine bestimmte Stelle am Rand des Kelchs.
Daraufhin schaute ich mir das Kreuz genauer an. Als orthodoxes Doppelkreuz besaß es zwei waagerechte Seiten. Die untere davon war kleiner, und sie war auch durch einen Schlag oder Tritt verbogen worden. Aber nicht allein das. Auch die dunklen Flecken entdeckte ich auf dem heller schimmernden Metall, und meiner Ansicht nach konnte es sich bei diesen Zeichen nur um
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