Arm und Reich
sterben, wenn er nicht rechtzeitig behandelt wird. Aber wenigstens eine Zeitlang, nämlich solange der Patient noch lebt, kommt dem Cholerabakterium zugute, daß es in großer Zahl in das Wasser gelangt, das ihm womöglich Zutritt zu seinem nächsten Opfer verschafft. Unter der Voraussetzung, daß jeder Erkrankte auf diesem Wege im Durchschnitt mehr als eine weitere Person ansteckt, kann sich das Bakterium ausbreiten, auch wenn der erste Wirt ums Leben kommen sollte.
So weit unsere unvoreingenommene Betrachtung der Interessen der Erreger. Kommen wir nun zurück zu unserem eigenen selbstsüchtigen Interesse, gesund und am Leben zu bleiben – am besten durch Tötung der ungeliebten Krankheitserreger. Eine unserer häufigsten Reaktionen auf eine Infektion ist Fieber, das wir gemeinhin ebenfalls nur als »Krankheitssymptom« betrachten, als ob es uns ganz ohne Zweck plagen würde. Die Regulierung der Körpertemperatur unterliegt jedoch unserer unbewußten Kontrolle und ist nicht dem Zufall überlassen. Da manche Mikroben hitzeempfindlicher sind als wir selbst, versuchen wir sie durch Erhöhung unserer Temperatur zu Tode zu rösten, bevor wir selbst geröstet werden.
Eine weitere häufige Reaktion auf eingedrungene Krankheitserreger ist die Mobilisierung unserer Immunabwehr. Weiße Blutkörperchen und andere Zellen machen Jagd auf fremde Mikroben und versuchen, sie zu töten. Die speziellen Antikörper, die sich mit der Zeit gegen eine bestimmte Mikrobe bilden, die uns infiziert hat, senken die Wahrscheinlichkeit einer erneuten späteren Infektion nach der Genesung. Wie jeder aus eigener Erfahrung weiß, ist die Resistenz gegen manche Krankheiten – wie Grippe und Erkältung – nur von vorübergehender Dauer, so daß wir uns nach einiger Zeit erneut anstecken können. Bei anderen Krankheiten – wie Masern, Mumps, Röteln, Keuchhusten und den inzwischen besiegten Pocken – verschaffen uns die nach der Erstinfektion gebildeten Antikörper lebenslange Immunität. Auf diesem Prinzip basieren auch Impfungen: Die Antikörperbildung wird angeregt, ohne daß die Krankheit voll ausbricht, indem Totimpfstoff oder abgeschwächte Varianten des Erregers gespritzt werden.
Leider Gottes brechen einige besonders clevere Mikroben nicht nur in unser Immunsystem ein, sondern verstehen es obendrein, uns zu überlisten, indem sie diejenigen Teile ihrer Hülle, die von unseren Antikörpern erkannt werden (die sogenannten Antigene), verändern. Die ständige Evolution neuer beziehungsweise die Wiederkehr älterer Stämme des Grippevirus mit jeweils unterschiedlichen Antigenen erklärt, warum Sie vielleicht neulich wieder an Grippe erkrankt sind, obwohl sie gerade erst vor zwei Jahren von dieser Geißel geplagt wurden. Malaria und Schlafkrankheit verstehen es noch besser, ihre Antigene rasch zu verändern und auf diese Weise durch die Maschen unseres Immunsystems zu schlüpfen. Nahezu unübertroffen ist in dieser Hinsicht das Aidsvirus, das ständig neue Antigene entwickelt, selbst wenn es sich schon im Körper eines Patienten befindet, bis unser Immunsystem vor dem Ansturm irgendwann kapituliert.
Unsere langsamste Abwehrreaktion erfolgt auf dem Weg über die natürliche Selektion, die von Generation zu Generation die Häufigkeit des Auftretens bestimmter Erbanlagen verändert. Gegen fast jede Krankheit sind einige Menschen aufgrund ihrer erbbiologischen Ausstattung resistenter als andere. Beim Ausbruch einer Epidemie würden jene, die im Besitz von Abwehrgenen gegen einen bestimmten Erregertyp sind, eher zu den Überlebenden gehören als andere, denen es an solchen Genen mangelt. Auf diese Weise wurden menschliche Bevölkerungen im Laufe der Geschichte nach wiederholtem Kontakt mit einem Krankheitserreger zu einem höheren Prozentsatz gegen diesen resistent – einfach deshalb, weil Pechvögel ohne die richtigen Gene in einer Epidemie eher ums Leben kamen und so daran gehindert wurden, ihre Erbanlagen weiterzugeben.
Schwacher Trost, werden Sie vielleicht wieder denken. Diese evolutionäre Reaktion hilft dem genetisch anfälligen Erkrankten, der womöglich sterben muß, auch nicht weiter. Das ist sicher richtig. Als Folge dieses Selektionsmechanismus ist eine Bevölkerung jedoch insgesamt besser gegen bestimmte Krankheitserreger geschützt. Beispiele liefern Sichelzellen-, Tay-Sachs- und Mukoviszidose-Gene, die Schwarzafrikaner, mittel-/osteuropäische
Weitere Kostenlose Bücher