Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Arm und Reich

Arm und Reich

Titel: Arm und Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
Vom Netzwerk:
Jahr 1492 begann. So zahlreich die indianischen Opfer der säbelschwin­genden spanischen Konquistadoren auch gewesen sein mochten, so verschwindend wenige waren es doch im Vergleich zur Zahl der Opfer spanischer Krankheitser­reger. Warum verlief der Austausch von Krankheiten zwischen Indianern und Europäern so einseitig? Wa­rum dezimierten nicht die Krankheiten der Indianer die spanischen Invasoren, verbreiteten sich nach Euro­pa und löschten dort 95 Prozent der Bevölkerung aus? Ähnliche Fragen stellen sich im Zusammenhang mit der Dezimierung vieler anderer eingeborener Völker durch eurasische Krankheitserreger sowie der Dezimierung europäischer Möchtegern-Konquistadoren in den tro­pischen Gebieten Afrikas und Asiens.
    Fragen nach dem tierischen Ursprung menschlicher Krankheiten berühren damit ein Kernthema des Ge­schichtsverlaufs – und einige der großen gesundheits­politischen Herausforderungen von heute. (Denken Sie nur an Aids, eine Krankheit mit explosionsartiger Ausbreitungs geschwindigkeit, die sich möglicherweise aus einem Virus wildlebender afrikanischer Affen ent­wickelte.) In diesem Kapitel wollen wir zunächst die Fra­ge stellen, was eigentlich eine »Krankheit« ist, wo uns doch die meisten Arten von Lebewesen nicht krank ma­chen. Wir werden der Frage nachgehen, warum viele un­serer häufigsten Infektionskrankheiten in Form von Epi­demien auftreten, so wie beispielsweise die gegenwärtige Aidsepidemie oder die Pestepidemien (»Schwarzer Tod«) im Mittelalter. Weiter werden wir erörtern, wie die Vor­fahren der Mikroben, die heute nur noch bei Menschen auftreten, von ihren ursprünglichen tierischen Wirten auf uns übertragen wurden. Und schließlich werden wir sehen, inwiefern die Kenntnis der tierischen Ursprün­ge unserer Infektionskrankheiten zum Verständnis des folgenschweren, nahezu völlig einseitigen Austauschs von Krankheitserregern zwischen Europäern und In­dianern beiträgt.
    Verständlicherweise neigen wir dazu, das Thema Krank­heiten nur von unserer Warte her zu betrachten: Was können wir tun, um uns vor ihnen zu schützen und den Mikroben, die sie in uns anzetteln, den Garaus zu ma­chen? Merzen wir doch diese Schufte aus und kümmern uns nicht darum, welche Motive sie haben! Aber: Eine alte Weisheit besagt, daß man den Feind verstehen muß, bevor man ihn besiegen kann, und das gilt in der Medi­zin ganz besonders.
    Lassen wir deshalb unsere Voreingenommenheit kurz beiseite und betrachten Krankheiten einmal aus dem Blickwinkel von Mikroben. Schließlich sind diese Or­ganismen ebenso ein Produkt der natürlichen Auslese wie wir selbst. Welchen Evolutionsvorteil zieht wohl eine Mikrobe daraus, wenn sie uns irgendeine merkwürdi­ge Krankheit beschert, sagen wir, Geschwüre im Geni­talbereich oder Durchfall? Und warum sollten sich Mi­kroben entwickeln, die uns sogar umbringen? Dies er­scheint besonders rätselhaft und widersinnig, da ja eine Mikrobe, die ihren Wirt umbringt, ebenfalls zum Tode verurteilt ist.
    Mikroben entwickeln sich im Grunde ganz genauso wie andere Arten von Pflanzen oder Tieren. Durch den Prozeß der natürlichen Auslese werden diejenigen In­dividuen begünstigt, die am meisten Nachwuchs pro­duzieren und dafür sorgen, daß sich dieser in geeigne­te Lebensräume ausbreiten kann. Für eine Mikrobe läßt sich Ausbreitung rechnerisch als Zahl der Neuinfektio­nen pro ursprünglichem Krankheitsträger ausdrücken. Dieser Wert hängt zum einen davon ab, wie lange jeder Infizierte in der Lage bleibt, neue Opfer anzustecken, und zum anderen davon, wie leicht der Erreger von ei­nem Opfer auf ein anderes übertragen wird.
    Mikroben haben sich im Laufe der Evolution diver­se Verbreitungswege von einer Person zur anderen, aber auch von Tieren zum Men schen erschlossen. Erreger, die in dieser Disziplin erfolgreicher sind, hinterlassen mehr Nachwuchs und werden von der natürlichen Selek­tion entsprechend bevorzugt. Viele unserer sogenann­ten »Krankheitssymptome« verkörpern nichts anderes als die Art und Weise, wie eine findige Mikrobe unse­ren Körper oder unser Verhalten derart verändert, daß wir, ohne gefragt zu werden, zu ihrer Verbreitung bei­tragen.
    Die müheloseste Übertragungsweise besteht für einen Krankheitserreger darin, einfach dazusitzen und auf die Weitergabe an das nächste Opfer zu warten. Diese pas­sive Strategie wird von Mikroben angewandt, die dar­auf warten, daß ihr derzeitiger Wirt von einem ande­ren Wirt

Weitere Kostenlose Bücher