Arm und Reich
epidemisch auftretenden Kinderkrankheiten in Amerika und Europa zu: Masern, Röteln, Mumps, Keuchhusten und Pocken.
Warum die Kombination dieser vier Merkmale zum epidemischen Auftreten einer Krankheit führt, ist schnell erklärt. Vereinfacht ausgedrückt, geschieht folgendes: Die schnelle Ausbreitung von Mikroben und das rasche Auftreten von Symptomen bedeutet, daß jedes Mitglied einer lokalen menschlichen Population binnen kurzer Zeit infiziert und bald darauf entweder verstorben oder wieder gesund und immunisiert ist. Da die Mikroben aber nur in lebendigen menschlichen Körpern überleben können, verschwindet die Krankheit, bis eine neue Generation von Babys das ansteckungsfähige Alter erreicht – und jemand den Erreger von außen einschleppt und für den Ausbruch einer neuen Epidemie sorgt.
Ein klassisches Beispiel für den epidemischen Verlauf solcher Krankheiten ist die Geschichte der Masern auf den entlegenen Färöer-Inseln im Nordatlantik. Im Jahr 1781 erreichte eine schwere Masernepidemie die Inselgruppe. Nachdem sie vorbei war, traten viele Jahre keine Masern mehr auf, bis 1846 ein Zimmermann mit dem Schiff aus Dänemark eintraf und die Krankheit mitbrachte. Innerhalb von drei Monaten hatte sich nahezu die gesamte Bevölkerung der Färöer-Inseln (7782 Menschen) angesteckt; entweder erlagen die Menschen der Krankheit, oder sie konnten sich wieder erholen, so daß dem Masernvirus bis zur nächsten Epidemie erneut der Nährboden entzogen war. Untersuchungen haben ergeben, daß die Masern in Populationen von weniger als einer halben Million Menschen mit hoher Wahrscheinlichkeit aussterben. Erst in größeren Populationen hat die Krankheit eine Chance, so lange von einem Gebiet zum anderen zu wechseln, bis im ursprünglichen Infektionsgebiet wieder genügend Babys geboren sind, um eine erneute Masernepidemie zu ermöglichen.
Was für die Masern auf den Färöer-Inseln gilt, trifft auch auf die anderen verbreiteten Infektionskrankheiten mit akutem Verlauf zu. Um nicht auszusterben, benötigen sie eine menschliche Population von ausreichender Größe und Dichte, damit eine größere Zahl ansteckungsfähiger Kinder zu einem Zeitpunkt vorhanden ist, an dem der betreffende Erreger sonst mangels weiterer Opfer aussterben würde.
Krankheiten dieses Typs konnten sich einleuchtenderweise in kleinen Gruppen von Jägern und Sammlern oder Brandrodungsfeldbauern nicht behaupten. Wie Amazonasindianer und Pazifikinsulaner in jüngerer Vergangenheit auf tragische Weise erfahren mußten, kann eine von außen eingeschleppte Epidemie kleinere Stämme, deren Angehörige keine Antikörper gegen die Erreger besitzen, so gut wie ausrotten. So fielen im Winter 1902 nicht weniger als 51 der 56 Sadlermiut-Eskimos von Southampton Island, einer Insel in der kanadischen Arktis, einer Ruhrepidemie zum Opfer, die ein Matrose des Walfangschiffs Active eingeschleppt hatte. Hinzu kommt, daß infizierte Erwachsene eher an Masern und unseren anderen »Kinderkrankheiten« sterben als Kinder und daß sämtliche Erwachsenen des Stamms für die Erreger empfänglich sind. (Im Gegensatz dazu erkranken erwachsene Amerikaner oder Europäer heute nur selten an Masern, da die meisten diese Krankheit entweder im Kindesalter schon hatten oder dagegen geimpft wurden.) Nach Auslöschung der meisten Stammesangehörigen verschwindet die Epidemie dann wieder. Die geringe Bevölkerungsgröße kleiner Stämme erklärt nicht nur, warum von außen eingeschleppte Epidemien bei ihnen nur von kurzer Dauer sind, sondern auch, warum sie keine epidemischen Krankheiten hervorbringen konnten, um damit ihrerseits Besucher zu infizieren.
Das heißt natürlich nicht, daß Infektionskrankheiten in kleinen menschlichen Populationen unbekannt sind. Tatsache ist aber, daß in solchen Gruppen nur bestimmte Typen von Infektionskrankheiten auftreten. Einige werden von Mikroben hervorgerufen, die auch in Tieren oder im Erdreich leben können, was dazu führt, daß die Erreger nicht aussterben, sondern permanent in der Umwelt zugegen sind und jederzeit Menschen befallen können. So sind afrikanische Affen Träger des Gelbfiebervirus, das für die Bewohner ländlicher Gebiete in Afrika eine ständige Bedrohung darstellt; zur Zeit des Sklavenhandels gelangte das Gelbfieber auch in die Neue Welt, wo das Virus ebenfalls von Affen auf Menschen übertragen wird.
Eine weitere Art von Infektionskrankheiten kleiner
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