Arm und Reich
menschlicher Populationen sind chronisch verlaufende Krankheiten wie Lepra und Frambösie (im Volksmund auch »Himbeerpocken« genannt). Da der Erreger sehr lange braucht, bis ihm sein Wirt erliegt, kann dieser in der Zwischenzeit weitere Menschen in seiner Umgebung anstecken. Im Karimui Valley im Hochland von Neuguinea, wo ich in den 60er Jahren tätig war, lebte in starker Abgeschiedenheit eine Bevölkerung von wenigen tausend Menschen, von denen ein größerer Anteil als irgendwo sonst auf der Welt an Lepra erkrankt war: rund 40 Prozent! Und schließlich sind kleine Populationen auch anfällig für Infektionskrankheiten ohne tödlichen Verlauf, gegen die keine Immunität entwickelt wird, so daß die gleiche Person wiederholt an ihnen erkranken kann. Das gilt beispielsweise für Hakenwurm- und viele andere von Parasiten verursachte Krankheiten.
All diese Krankheitstypen, die für kleine, abgeschiedene Populationen charakteristisch sind, müssen zu den ältesten Krankheiten der Menschheit gehört haben. Sie waren es, die sich in den ersten Jahrmillionen unserer Evolutionsgeschichte, als unsere Gesamtpopulation auf der Erde noch winzig und zersplittert war, entwickeln und behaupten konnten. Zudem gleichen diese Krankheiten denen unserer engsten wildlebenden Verwandten, der afrikanischen Menschenaffen. Demgegenüber konnten sich die Infektionskrankheiten des zuvor beschriebenen Typs erst im Zuge der Entstehung großer, auf engem Raum lebender Populationen entwickeln. Diese begann mit dem Aufstieg der Landwirtschaft vor rund 10 000 Jahren und beschleunigte sich mit der Entstehung von Städten vor einigen Jahrtausenden. Die ersten belegten Ausbrüche vieler heutiger Infektionskrankheiten liegen erstaunlich kurz zurück: Pocken um 1600 v. Chr. (gefolgert aus Pockennarben, die an einer ägyptischen Mumie entdeckt wurden), Mumps um 400 v. Chr., Lepra um 200 v. Chr., Kinderlähmung als Epidemie im Jahr 1840 n. Chr. und Aids im Jahr 1959.
Warum gab der Aufstieg der Landwirtschaft den Anstoß zur Evolution unserer typischen Infektionskrankheiten? Eine gerade erwähnte Ursache ist die Tatsache, daß die Landwirtschaft eine wesentlich höhere Bevölkerungsdichte ermöglicht als die Jagd- und Sammelwirtschaft– im Durchschnitt ist sie zehn- bis hundertmal so hoch. Hinzu kommt, daß Jäger und Sammler häufig den Lagerplatz wechseln und dabei ihre Exkrementhaufen samt allen Mikroben und Wurmlarven zurücklassen.
Seßhafte Bauern leben dagegen inmitten ihrer eigenen Ausscheidungen, so daß für Mikroben der Weg vom Körper der einen Person in das Trinkwasser der nächsten ausgesprochen kurz ist.
Einige bäuerliche Bevölkerungen machen es ihren fäkalen Bakterien und Würmern noch leichter, neue Opfer zu infizieren, indem Urin und Exkremente gesammelt und als Dünger auf den Feldern, wo Menschen arbeiten, verstreut werden. Bewässerungslandwirtschaft und Fischzucht schaffen ideale Lebensbedingungen für Schnecken, die als Zwischenwirt von Saugwürmern dienen, die im erwachsenen Stadium in unsere Haut eindringen, wenn wir durch das fäkalienhaltige Wasser waten, und bei uns Bilharziose hervorrufen. Seßhafte Bauern sind aber nicht nur von ihren eigenen Exkrementen umgeben, sondern auch von Nagetieren, die von Nahrungsvorräten angelockt werden und Krankheiten auf den Menschen übertragen können. Lichtungen, wie sie afrikanische Bauern in den Urwald schlagen, schaffen ideale Brutbedingungen für Malariamücken.
War somit der Aufstieg der Landwirtschaft ein Glücksfall für unsere Mikroben, so galt dies um so mehr für die Entstehung von Städten, in denen Menschen noch enger zusammengepfercht unter noch schlechteren hygienischen Bedingungen hausten. Erst seit Anfang des 20. Jahrhunderts können die Städte Europas ihre Bevölkerungszahl aus eigener Kraft halten; davor mußte ein ständiger Zustrom aus ländlichen Gebieten die hohe Sterberate der Stadtbewohner, die durch die typischen Infektionskrankheiten auf engem Raum lebender Menschenmassen bedingt war, ausgleichen. Ein weiterer Glücksfall für Mikroben war die Entstehung der internationalen Handelsrouten, die in römischer Zeit die Bevölkerungen Europas, Asiens und Nordafrikas zu einer gigantischen Brutstätte für Krankheitserreger vereinigte. Damals erreichten die Pocken erstmals Rom, wo zwischen 165 und 180 n. Chr. mehrere Millionen Menschen dem Pockenvirus zum Opfer fielen.
Auf ähnliche Weise
Weitere Kostenlose Bücher