Arm und Reich
Juden und Nordeuropäer jeweils gegen Malaria, Tuberkulose und bakterielle Durchfallerkrankungen schützen. – Kurzum, die Interaktion des Menschen mit den meisten Arten von Lebewesen – ich will einmal Kolibris als Beispiel nehmen – macht weder Mensch noch Kolibri »krank«. Keiner von beiden mußte Abwehrmechanismen gegen den jeweils anderen entwickeln. Dieses friedliche Miteinander war deshalb möglich, weil Kolibris zur Verbreitung oder Fütterung ihres Nachwuchses nicht auf unsere Hilfe angewiesen sind. Statt dessen hat es die Evolution so eingerichtet, daß sie sich von Nektar und Insekten ernähren, deren sie unter Einsatz ihrer eigenen Flügel habhaft werden. – Bei den Mikroben hat es die Evolution dagegen so gewollt, daß sie sich von Nährstoffen in unserem Körper ernähren, und sie besitzen auch keine Flügel, um sich zum Körper eines neuen Opfers zu bewegen, nachdem das alte gestorben oder resistent geworden ist. Deshalb mußten sich Krankheitserreger kleine Tricks aneignen, um von einem potentiellen Opfer zum nächsten zu gelangen. Viele dieser Tricks sind das, was wir als »Krankheitssymptome« erleben. Natürlich haben wir im Laufe der Evolution auch Gegentricks entwickelt, worauf die Erreger allerdings wiederum mit Gegen-Gegentricks reagierten. So kam es, daß wir mit unseren pathogenen Quälgeistern in einen eskalierenden evolutionären Wettkampf gerieten, bei dem der Tod eines Teilnehmers der Preis der Niederlage und die natürliche Selektion der Schiedsrichter ist. Betrachten wir als nächstes die Form des Wettkampfs: Handelt es sich um einen Blitz- oder einen Guerillakrieg?
Angenommen, man zählt in einem bestimmten Gebiet die Zahl der Erkrankungen an einer bestimmten Infektionskrankheit und verfolgt die Veränderung im Zeitablauf. Dabei stößt man zwischen verschiedenen Krankheiten auf große Unterschiede im Verlaufsmuster. Bei einigen, wie beispielsweise Malaria oder Hakenwurmbefall, treten Neuerkrankungen in Infektionsgebieten relativ gleichmäßig über das Jahr verteilt auf. Dagegen verursachen sogenannte epidemische Krankheiten längere Zeit gar keine Krankheitsfälle und dann eine regelrechte Krankheitswelle, um anschließend wieder eine Zeitlang in Vergessenheit zu geraten.
Unter den epidemischen Krankheiten ist die Grippe, über die in manchen Jahren ganz besonders gestöhnt wird (dann hat das Grippevirus Grund zur Freude) Amerikanern und Europäern aus persönlicher Erfahrung am vertrautesten. Choleraepidemien treten in längeren zeitlichen Abständen auf; so war der Ausbruch in Peru von 1991 der erste, von dem die Neue Welt in diesem Jahrhundert heimgesucht wurde. Noch heute sorgen Grippe- und Choleraepidemien für Schlagzeilen, doch vor dem Aufkommen der modernen Medizin waren Seuchen noch viel bedrohlicher. Die größte Krankheitsepidemie der Menschheitsgeschichte war eine Grippewelle, der am Ende des Ersten Weltkriegs 21 Millionen Menschen zum Opfer fielen. Der Schwarze Tod (Beulenpest) raffte zwischen 1346 und 1352 sage und schreibe ein Viertel der Bevölkerung Europas dahin – in manchen Städten kamen bis zu 70 Prozent der Einwohner ums Leben. Als die Canadian Pacific Railroad Anfang der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts durch die kanadische Provinz Saskatchewan gebaut wurde, schrumpfte die dortige Indianerbevölkerung, die zuvor kaum in Berührung mit Weißen und ihren Krankheitserregern gekommen war, auf grund massenhafter Tuberkuloseerkrankungen jährlich um 9 Prozent.
Die Infektionskrankheiten, die regelmäßig in Form von Epidemien statt als vereinzelte Krankheitsfälle auftreten, weisen mehrere gemeinsame Eigenschaften auf. Erstens werden sie von einer infizierten Person rasch und effektiv auf andere übertragen, so daß binnen kurzer Zeit die gesamte Population mit dem jeweiligen Erreger in Berührung kommt. Zweitens handelt es sich um »akute« Krankheiten, denen man entweder innerhalb kurzer Zeit erliegt oder von denen man sich vollständig wieder erholt. Drittens entwickeln diejenigen Menschen, die wieder gesund werden, Antikörper, die einen langjährigen, vielleicht sogar lebenslangen Schutz vor einer erneuten Erkrankung an dem gleichen Erreger bewirken. Und viertens treten diese Krankheiten in der Regel nur beim Menschen auf; die Mikroben, die sie auslösen, leben meist nicht im Erdboden oder in den Körpern von Tieren. Alle vier genannten Eigenschaften treffen auf die bekanntesten akuten,
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