Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Arm und Reich

Arm und Reich

Titel: Arm und Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
Vom Netzwerk:
Techniken und zentralisti­scher Herrschaft als unmittelbaren Ursachen führte.
    Der Zusammenhang zwischen Haustieren und Kultur­pflanzen auf der einen Seite und Krankheitserregern auf der anderen wurde mir auf unvergeßliche Weise durch einen Fall veranschaulicht, über den mir ein Bekannter, der von Beruf Arzt ist, berichtete. Als er noch ein uner­fahrener Jungmediziner war und im Krankenhaus ar­beitete, wurde er einmal in ein Zimmer gerufen, in dem sich ein Mann in Begleitung seiner Ehefrau befand, der an rätselhaften Symptomen litt. Die Behandlung wur­de dadurch erschwert, daß die Eheleute Schwierigkeiten hatten, sich untereinander und mit meinem Bekannten zu verständigen. Der Patient, ein scheuer Mann, war an einer Lungenentzündung erkrankt, die ein nicht identi­fizierter Mikro organismus verursacht hatte. Er sprach nur wenig Englisch, weshalb seine hübsche Frau als Dol­metscherin einsprang. Sie machte sich große Sorgen um ihren Mann und war verängstigt durch die ungewohn­te Krankenhausumgebung. Mein Bekannter hatte eine anstrengende Woche Dienst hinter sich und war oben­drein gestreßt ob der Schwierigkeit herauszufinden, wel­che ungewöhnlichen Risikofaktoren zu der merkwürdi­gen Krankheit geführt haben mochten. Unter der enor­men Anspannung, unter der er stand, vergaß er alles, was man ihm über Vertraulichkeit im Umgang mit Pa­tienten beigebracht hatte, und beging den schrecklichen Fehler, die Frau zu bitten, ihren Mann nach irgendwel­chen sexuellen Erlebnissen zu fragen, von denen die In­fektion vielleicht herrühren könnte.
    Vor den Augen des Arztes lief der Patient im Ge­sicht puterrot an, versuchte sich unter der Bettdecke zu verkriechen und stammelte mit kaum vernehmba­rer Stimme einige Worte. Seine Frau stieß daraufhin ei­nen Wutschrei aus und kniete sich auf ihn. Bevor mein Bekannter einschreiten konnte, ergriff sie eine schwere Metallflasche, schlug sie ihrem Mann mit voller Wucht auf den Kopf und stürmte aus dem Zimmer. Es dauer­te eine Weile, bis der Mann wiederbelebt war, und noch länger, bis ihm in gebrochenem Englisch entlockt wer­den konnte, womit er seine Frau so in Rage gebracht hat­te. Die Antwort kam nur stockend: Er hatte zugegeben, daß er bei einem kürzlichen Besuch auf dem elterlichen Bauernhof mehrmals mit Schafen sexuell verkehrt hat­te; vielleicht hatte er sich den mysteriösen Krankheits­erreger dabei zugezogen.
    Diese Geschichte mag wie ein bizarrer Einzelfall ohne weitere Bedeutung klingen. Sie steht jedoch sinnbildlich für die äußerst wichtige Thematik menschlicher Krank­heiten tierischen Ursprungs. Nur wenige von uns lieben Schafe in dem fleischlichen Sinn wie der Patient mei­nes Bekannten. Dafür lieben viele von uns platonisch Haustiere wie Hunde oder Katzen. Als Ganzes erweckt die Menschheit gewiß den Eindruck einer ungeheuren Zuneigung zu Schafen und anderem Vieh, urteilt man nach der enormen Zahl dieser Tiere auf unseren Höfen und Weiden. Nach einer neueren Statistik hatten die 17 085 400 Einwohner Australiens eine so hohe Meinung von Schafen, daß sie nicht weniger als 161 600 000 da­von als Vieh hielten.
    Manchmal stecken sich Erwachsene, noch häufiger aber Kinder, bei Haustieren mit Krankheiten an. Nor­malerweise verläuft die Sache harmlos, aber das war und ist nicht immer so. Bei den verheerendsten Infektions­krankheiten der jüngeren Geschichte – Pocken, Grip­pe, Tuberkulose, Malaria, Pest, Masern und Cholera – handelte es sich ausnahmslos um Erreger, die sich aus Krankheiten von Tieren entwickelt hatten; paradoxerwei­se sind die meisten der für unsere epidemischen Krank­heiten verantwortlichen Erreger heute praktisch auf den Menschen beschränkt. Da Krankheiten die größten Tod­bringer der Geschichte waren, haben sie deren Verlauf auch entscheidend mit beeinflußt. Bis zum Zweiten Welt­krieg starben in Kriegen mehr Menschen an Krankheiten als in Schlachten. Wenn in militärgeschichtlichen Wer­ken die Heldentaten großer Generäle gepriesen werden, bleibt eine viel weniger imposante Wahrheit oft uner­wähnt: Siegreich waren in den Kriegen der Vergangen­heit nicht immer die Armeen mit den besten Generälen und Waffen, sondern oftmals jene, die ihre Gegner mit den schlimmsten Krankheiten infizieren konnten.
    Das grauenvollste Beispiel für die Rolle, die Krank­heitserreger in der Menschheitsgeschichte spielten, lie­ferte die europäische Eroberung Nord- und Südamerikas, die mit der Fahrt des Kolumbus im

Weitere Kostenlose Bücher