Arm und Reich
Techniken und zentralistischer Herrschaft als unmittelbaren Ursachen führte.
Der Zusammenhang zwischen Haustieren und Kulturpflanzen auf der einen Seite und Krankheitserregern auf der anderen wurde mir auf unvergeßliche Weise durch einen Fall veranschaulicht, über den mir ein Bekannter, der von Beruf Arzt ist, berichtete. Als er noch ein unerfahrener Jungmediziner war und im Krankenhaus arbeitete, wurde er einmal in ein Zimmer gerufen, in dem sich ein Mann in Begleitung seiner Ehefrau befand, der an rätselhaften Symptomen litt. Die Behandlung wurde dadurch erschwert, daß die Eheleute Schwierigkeiten hatten, sich untereinander und mit meinem Bekannten zu verständigen. Der Patient, ein scheuer Mann, war an einer Lungenentzündung erkrankt, die ein nicht identifizierter Mikro organismus verursacht hatte. Er sprach nur wenig Englisch, weshalb seine hübsche Frau als Dolmetscherin einsprang. Sie machte sich große Sorgen um ihren Mann und war verängstigt durch die ungewohnte Krankenhausumgebung. Mein Bekannter hatte eine anstrengende Woche Dienst hinter sich und war obendrein gestreßt ob der Schwierigkeit herauszufinden, welche ungewöhnlichen Risikofaktoren zu der merkwürdigen Krankheit geführt haben mochten. Unter der enormen Anspannung, unter der er stand, vergaß er alles, was man ihm über Vertraulichkeit im Umgang mit Patienten beigebracht hatte, und beging den schrecklichen Fehler, die Frau zu bitten, ihren Mann nach irgendwelchen sexuellen Erlebnissen zu fragen, von denen die Infektion vielleicht herrühren könnte.
Vor den Augen des Arztes lief der Patient im Gesicht puterrot an, versuchte sich unter der Bettdecke zu verkriechen und stammelte mit kaum vernehmbarer Stimme einige Worte. Seine Frau stieß daraufhin einen Wutschrei aus und kniete sich auf ihn. Bevor mein Bekannter einschreiten konnte, ergriff sie eine schwere Metallflasche, schlug sie ihrem Mann mit voller Wucht auf den Kopf und stürmte aus dem Zimmer. Es dauerte eine Weile, bis der Mann wiederbelebt war, und noch länger, bis ihm in gebrochenem Englisch entlockt werden konnte, womit er seine Frau so in Rage gebracht hatte. Die Antwort kam nur stockend: Er hatte zugegeben, daß er bei einem kürzlichen Besuch auf dem elterlichen Bauernhof mehrmals mit Schafen sexuell verkehrt hatte; vielleicht hatte er sich den mysteriösen Krankheitserreger dabei zugezogen.
Diese Geschichte mag wie ein bizarrer Einzelfall ohne weitere Bedeutung klingen. Sie steht jedoch sinnbildlich für die äußerst wichtige Thematik menschlicher Krankheiten tierischen Ursprungs. Nur wenige von uns lieben Schafe in dem fleischlichen Sinn wie der Patient meines Bekannten. Dafür lieben viele von uns platonisch Haustiere wie Hunde oder Katzen. Als Ganzes erweckt die Menschheit gewiß den Eindruck einer ungeheuren Zuneigung zu Schafen und anderem Vieh, urteilt man nach der enormen Zahl dieser Tiere auf unseren Höfen und Weiden. Nach einer neueren Statistik hatten die 17 085 400 Einwohner Australiens eine so hohe Meinung von Schafen, daß sie nicht weniger als 161 600 000 davon als Vieh hielten.
Manchmal stecken sich Erwachsene, noch häufiger aber Kinder, bei Haustieren mit Krankheiten an. Normalerweise verläuft die Sache harmlos, aber das war und ist nicht immer so. Bei den verheerendsten Infektionskrankheiten der jüngeren Geschichte – Pocken, Grippe, Tuberkulose, Malaria, Pest, Masern und Cholera – handelte es sich ausnahmslos um Erreger, die sich aus Krankheiten von Tieren entwickelt hatten; paradoxerweise sind die meisten der für unsere epidemischen Krankheiten verantwortlichen Erreger heute praktisch auf den Menschen beschränkt. Da Krankheiten die größten Todbringer der Geschichte waren, haben sie deren Verlauf auch entscheidend mit beeinflußt. Bis zum Zweiten Weltkrieg starben in Kriegen mehr Menschen an Krankheiten als in Schlachten. Wenn in militärgeschichtlichen Werken die Heldentaten großer Generäle gepriesen werden, bleibt eine viel weniger imposante Wahrheit oft unerwähnt: Siegreich waren in den Kriegen der Vergangenheit nicht immer die Armeen mit den besten Generälen und Waffen, sondern oftmals jene, die ihre Gegner mit den schlimmsten Krankheiten infizieren konnten.
Das grauenvollste Beispiel für die Rolle, die Krankheitserreger in der Menschheitsgeschichte spielten, lieferte die europäische Eroberung Nord- und Südamerikas, die mit der Fahrt des Kolumbus im
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