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Arm und Reich

Arm und Reich

Titel: Arm und Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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sonstige Verwendbarkeit. Neuguineer berichteten mir auch über rund ein Dutzend verschiedene Gesteins­arten ihrer Umgebung, deren Härte, Farbe, Verhalten, wenn man sie zerschlägt, und Verwendbarkeit. All die­ses Wissen wird durch Beobachtung und Ausprobieren erworben. Ich erlebe den Prozeß des »Erfindens« jedes­mal aufs neue, wenn ich Neuguineer auf Exkursionen mitnehme, deren Ziel außerhalb ihrer gewohnten Um­gebung liegt. Beim Marsch durch den Dschungel heben sie ständig Dinge auf, die ihnen fremd sind, hantieren damit herum und nehmen sie mit nach Hause, wenn sie einen interessanten Nutzen darin sehen. Ähnliches ge­schieht, wenn ich einen Lagerplatz verlasse und Bewoh­ner der Umgebung herbeiströmen, um nach Dingen zu stöbern, die ich vielleicht liegengelassen habe. Sie spie­len mit den fortgeworfenen Gegenständen und versu­chen herauszufinden, ob sie für sie nützlich sein könn­ten. Fortgeworfene Blechdosen sind ein klarer Fall: Sie eignen sich gut als Behälter. Andere Gegenstände wer­den auf ihre Tauglichkeit für Zwecke getestet, für die sie nie bestimmt waren. Wie würde sich wohl dieser gelbe Bleistift als Schmuckstück machen, vielleicht durch ein Ohrläppchen oder die Nasenwand geschoben? Und ob diese Glasscherbe wohl scharf genug ist, um etwas da­mit zu schneiden? Heureka!
    Das Rohmaterial, das vorgeschichtlichen Völkern zur Verfügung stand, waren natürliche Stoffe wie Stei­ne, Holz, Knochen, Häute und Felle, Fasern, Ton, Sand, Kalkstein und Mineralien, die alle in großer Vielfalt vor­handen waren. Im Laufe der Zeit lernten die Menschen, aus einigen Arten von Gestein, Holz und Knochen Werk­zeuge zu fertigen, bestimmte Tonarten zu Töpferwaren und Ziegelsteinen zu verarbeiten, Mischungen aus Sand, Kalkstein und anderen Stoffen des Erdreichs in Glas zu verwandeln und im Reinzustand vorkommende Weich­metalle wie Kupfer und Gold zu bearbeiten, später dann Metalle aus Erzen zu gewinnen und schließlich Hart­metalle wie Bronze und Eisen zu bearbeiten.
    Ein gutes Beispiel für Erfolge mit der Probiermetho­de ist die Entwicklung von Schießpulver und Benzin aus natürlichen Materialien. Brennbare Stoffe, die in der Natur vorkommen, machen gelegentlich von selbst auf sich aufmerksam, etwa wenn ein harzhaltiges Holz­scheit im Lagerfeuer explodiert. Um 2000 v. Chr. wur­de in Mesopotamien tonnenweise Erdöl durch Erhit­zung von Naturasphalt gewonnen. Die alten Griechen entdeckten die Verwendungsmöglichkeit verschiedener Mischungen von Erdöl, Pech, Harz, Schwefel und un­gelöschtem Kalk als Brandbomben, die mit Schleudern, Pfeilgeschossen und Schiffen zum Ziel befördert wur­den. Die Destillationskenntnisse, die sich moslemische Alchemisten im Mittelalter aneigneten, um Alkohol und Parfüms herzustellen, verschafften ihnen auch die Mög­lichkeit, Erdöl in seine Bestandteile zu zerlegen, von de­nen sich einige als noch wirkungsvollere Brandstoffe er­wiesen. Abgefeuert mit Granaten, Raketen und Torpedos, hatten sie entscheidenden Anteil am Sieg der Moham­medaner über die Kreuzfahrer. Unterdessen hatte man in China zu jener Zeit bereits entdeckt, daß eine ganz bestimmte Mischung aus Schwefel, Holzkohle und Sal­peter, die als »Schießpulver« bekannt werden sollte, be­sonders explosive Eigenschaften besaß. Eine chemische Abhandlung moslemischer Wissenschaftler von ca. 1100 n. Chr. beschrieb sieben verschiedene Arten von Schieß­pulver; ein Traktat aus dem Jahr 1280 n. Chr. enthielt bereits Rezepte für über 70 Pulvermischungen, die sich für diverse Zwecke eigneten (unter anderem für Rake­ten und Kanonen).
    Bei der neuzeitlichen Destillation von Erdöl entdeck­ten Chemiker im 19. Jahrhundert die Fraktion der Mit­teldestillate als nützlichen Brennstoff für Petroleumlam­pen. Die flüchtigste Fraktion (Rohbenzin) betrachteten sie als bedauerliches Abfallprodukt – bis man heraus­fand, daß sich dieser Stoff ideal für Verbrennungsmoto­ren eignete. Wer mag heute wohl glauben, daß Benzin, der Energielieferant Nummer 1 der modernen Zivilisa­tion, ebenfalls zu den Entdeckungen zählte, für die erst ein Verwendungszweck gesucht werden mußte?
    Hat ein Erfinder für eine neue Technik einen Verwen­dungszweck gefunden, besteht der nächste Schritt dar­in, die Gesellschaft davon zu überzeugen. Ein größe­res, schnelleres, mächtigeres Etwas zur Verrichtung be­stimmter Aufgaben vorweisen zu können bedeutet noch keine Garantie für durchschlagenden Erfolg.

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