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Arm und Reich

Arm und Reich

Titel: Arm und Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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Zahllose Techniken, die solche oder ähnliche Qualitäten für sich in Anspruch nehmen konnten, setzten sich nie oder erst nach längerem Widerstand durch. Bekannte Beispiele sind die Weigerung der amerikanischen Kongreßab­geordneten im Jahr 1971, der Entwicklung eines Über­schall-Transportmittels zuzustimmen, die ablehnende Haltung der internationalen Gemeinschaft gegenüber der Entwicklung einer effizienten Schreibmaschinen-Tastatur sowie die langjährige Abneigung Großbri­tanniens, elektrische Straßenbeleuchtung einzufüh­ren. Wovon mag es abhängen, ob eine Erfindung gesell­schaftliche Akzeptanz findet oder nicht?
    Schauen wir zunächst einmal, wovon die Akzeptanz innerhalb einer Gesellschaft beeinflußt wird. Wie wir sehen werden, sind mindestens vier Faktoren von Be­deutung.
    Der erste und naheliegendste Faktor sind die wirt­schaftlichen Vorteile gegenüber einer vorhandenen Tech­nik. Während das Rad in modernen Industriegesell­schaften zweifellos von großem Nutzen ist, war dies in anderen Gesellschaften nicht immer der Fall. In Mexi­ko wurden lange vor Ankunft der ersten Spanier Wä­gelchen mit Rädern an Achsen gebaut, die aber statt als Transportmittel nur als Spielzeug dienten. Das mag uns unglaublich erscheinen, aber wir müssen bedenken, daß die frühen Mexikaner keine Haustiere besaßen, die sie vor ihre Wagen hätten spannen können, so daß der Vor­teil gegenüber zweibeinigen Lastenträgern fehlte.
    Ein zweiter Faktor ist soziales Prestige, das die Bedeu­tung wirtschaftlicher Vorteile (oder ihres Fehlens) über­flügeln kann. Millionen von Menschen kaufen heutzuta­ge Designerjeans zum doppelten Preis einer nicht min­der haltbaren normalen Jeanshose, da das Ansehen, das ihnen der Markenname auf der Designerhose ihrer Mei­nung nach verschafft, für sie mehr zählt als die höhe­ren Kosten. Ebenfalls in diese Kategorie fällt die Beibe­haltung des furchtbar umständlichen japanischen Kanji-Schriftsystems, das einem praktischeren Alphabet oder der japanischen Kana-Silbenschrift vorgezogen wird, da sich mit den Kanji-Zeichen so viel Prestige verbindet.
    Ein weiterer Faktor ist die Frage der Vereinbarkeit mit den Interessen mächtiger Gruppen der Gesellschaft. Das Buch, das Sie vor sich haben, wurde wie wahrscheinlich alles andere, was Ihnen je an Gedrucktem zu Gesicht ge­kommen ist, auf einer QWERTY-Tastatur [3] gesetzt, also einer amerikanischen Schreibmaschinen- beziehungs­weise Computertastatur, in deren oberer linker Reihe die Buchstaben Q, W, E, R, T und Y angeordnet sind. Es mag unglaublich klingen, aber die Tastenbelegung, die aus dem Jahr 1873 stammt, zielte bewußt darauf ab, flinke Maschinenschreiber mit Hilfe einer ganzen Reihe von Tricks zu bremsen, beispielsweise durch verstreute An­ordnung der häufigsten Buchstaben in allen Reihen der Tastatur, vor allem aber auf der linken Hälfte (mit der sich Rechtshänder schwerer tun). Der Grund für all diese scheinbar widersinnigen Merkmale lag darin, daß sich die Typenhebel der Schreibmaschinen des Jahres 1873 verklemmten, wenn zwei benachbarte Hebel schnell hin­tereinander angeschlagen wurden, so daß die Hersteller daran interessiert waren, die Benutzer zu langsamerem Schreiben zu zwingen. Als später Schreibmaschinen mit besserer Mechanik das Problem verklemmter Typenhe­bel überwunden hatten, zeigten Versuche im Jahr 1932, daß eine günstigere Anordnung der Buchstaben zu ei­ner Verdoppelung der Schreibgeschwindigkeit und einer Senkung der Schreibanstrengung um 95 Prozent führen würde. Doch zu diesem Zeitpunkt saß die QWERTY-Tastatur bereits fest im Sattel. Das Interesse von hundert Millionen von QWERTY-Typisten, Ausbildern, Schreib­maschinen- und Computerverkäufern und -herstellern vereitelt seit mittlerweile über 60 Jahren alle Initiativen zur Schaffung einer effizienteren Tastatur.
    Mag man auch über die Geschichte der QWERTY-Ta­statur schmunzeln, so hatten zahlreiche ähnliche Fälle doch viel ernstere wirtschaftliche Konsequenzen. Wis­sen Sie, warum Japan in der Unterhaltungselektronik heute weltweit eine derart beherrschende Stellung in­nehat, daß die Zahlungsbilanz mit den USA davon be­lastet wird, und das, obgleich die Transistortechnik in den USA erfunden und patentiert wurde? Weil Sony von Western Electric Lizenzrechte für Transistoren er­warb, als die amerikanischen Hersteller von Unterhal­tungselektronik noch in großem Stil Geräte mit Vaku­umröhren produzierten und davor

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