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Arm und Reich

Arm und Reich

Titel: Arm und Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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zurückscheuten, ih­ren eigenen Produkten Konkurrenz zu machen. Und was meinen Sie, warum die Straßen Englands bis in die 20er Jahre dieses Jahrhunderts von Gaslaternen erhellt wurden, als in amerikanischen und deutschen Städten schon längst elektrische Lichter brannten? Weil die Kommu­nalbehörden in England große Summen in Gasbeleuch­tung investiert hatten und den Anbietern von Elektro­beleuchtung deshalb jedes erdenkliche Hindernis in den Weg legten.
    Der letzte unserer vier Faktoren, welche die Akzep­tanz neuer Techniken beeinflussen, ist der Grad der Er­kennbarkeit ihrer Vorzüge. Im Jahr 1340, als Feuerwaf­fen in Europa noch weitgehend unbekannt waren, wur­den die englischen Grafen von Derby und Salisbury in Spanien zufällig Zeugen der Schlacht von Tarifa, in der die Araber Kanonen gegen die Spanier einsetzten. Be­eindruckt von dem, was sie gesehen hatten, setzten sich die Grafen dafür ein, daß die englische Armee eben­falls Kanonen erhielt. Der Vorstoß fand bei den Solda­ten großen Anklang, und schon sechs Jahre später wur­de in der Schlacht von Crécy mit Kanonen auf Franzo­sen geschossen.
    Räder, Designerjeans und QWERTY-Tastaturen veran­schaulichen, warum eine Gesellschaft für unterschied­liche Erfindungen nicht gleich empfänglich ist. Umge­kehrt unterscheidet sich auch die Akzeptanz ein und derselben Erfindung in verschiedenen Gesellschaften der Gegenwart außerordentlich stark. Jeder hat sicher schon einmal die These vernommen, bäuerliche Gesell­schaften der Dritten Welt seien weniger innovations­freundlich als die Industriegesellschaften des Westens. Selbst innerhalb der Gruppe der Industrieländer bege­gnet man Neuerungen nicht überall mit gleicher Aufge­schlossenheit. Solche Unterschiede, falls sie denn auch zwischen den Kontinenten existierten, könnten erklä­ren, warum die technische Entwicklung auf einigen Kon­tinenten schneller voranschritt als auf anderen. Wenn beispiels weise sämtliche australischen Aborigines-Ge­sellschaften aus irgendeinem Grund jedem Wandel ab­hold waren, könnte dies die Erklärung dafür liefern, daß sie weiter Steinwerkzeuge benutzten, als auf allen ande­ren Kontinenten schon lange Metallwerkzeuge in Ge­brauch waren. Wie aber kommt es zur Entstehung der­art unterschiedlicher Haltungen von Gesellschaften ge­genüber Innovationen?
    Als Antwort auf diese Frage haben Technikhistoriker bisher mindestens 14 verschiedene Faktoren ins Feld ge­führt. Einer davon ist die Lebenserwartung, die Erfin­dern in spe im Prinzip die zum Erwerb umfangreicher technischer Kenntnisse nötige Zeit und Geduld gibt, um sich auf langwierige Projekte, die erst viel später Früchte tragen, einlassen zu können. Die aufgrund des medizi­nischen Fortschritts in den letzten Jahrhunderten stark gestiegene Lebenserwartung könnte insofern dazu bei­getragen haben, den technischen Wandel zu beschleu­nigen.
    Die nächsten fünf Faktoren haben mit wirtschaftli­cher und gesellschaftlicher Organisation zu tun: (1) Im klassischen Altertum wirkte billige Sklavenarbeit inno­vationshemmend, während hohe Löhne beziehungswei­se Arbeitskräftemangel in der heutigen Zeit der Suche nach technischen Lösungen Vorschub leisten. So schuf die Ankündigung neuer Einwanderungsgesetze, durch die der Zustrom billiger Saisonarbeiter aus Mexiko nach Kalifornien eingedämmt werden sollte, einen unmittel­baren Anreiz für die Züchtung einer Tomatengattung, die sich maschinell ernten läßt. (2) Das Patentrecht und andere Gesetze zum Schutz des geistigen Eigentums an Erfindungen schaffen im Westen einen positiven An­reiz für Innovationen, während das Fehlen entsprechen­der Gesetze im modernen China das Gegenteil bewirkt.
    (3) Moderne Industriegesellschaften bieten ihren Bür­gern umfassende technische Ausbildungsmöglichkeiten, wie sie schon im mittelalterlichen Islam bestanden, im modernen Zaire jedoch nicht. (4) Der moderne Kapi­talismus ist im Gegensatz zu den Verhältnissen im al­ten Rom in einer Weise organisiert, daß sich der Kapi­taleinsatz für technische Neuerungen in der Regel be­zahlt macht. (5) Der ausgeprägte Individualismus der amerikanischen Gesellschaft bedingt, daß erfolgreiche Erfinder die Früchte ihres Schaffens selbst ernten kön­nen, während die engen Familienbande in Neuguinea dafür sorgen, daß der wirtschaftlich Erfolgreiche bald Dutzende von Familienangehörigen um sich versam­melt findet, die unter seinem Dach leben und von ihm

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