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Arm und Reich

Arm und Reich

Titel: Arm und Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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Balkanisierung führ­te demgegenüber zur Entstehung Dutzender oder sogar Hunderter unabhängiger, miteinander konkurrierender Kleinstaaten und potentieller Zentren von Innovation. Ging ein Staat einer bestimmten Neuerung nicht weiter nach, tat es mit Sicherheit ein anderer und zwang seine Nachbarn, es ihm gleichzutun, wollten sie nicht militä­risch erobert oder wirtschaftlich abgehängt werden. Eu­ropas innere Barrieren waren hoch genug, um eine po­litische Vereinigung zu verhindern, aber zu niedrig, um die Ausbreitung neuer Techniken und Ideen zu stoppen. Es hat nie einen Tyrannen gegeben, der ganz Europa »den Hahn abdrehen« konnte, wie in China.
    Diese Gegenüberstellung zeigt, daß die Evolution der Technik durch den Faktor der geographischen Ge­schlossenheit positiv, aber auch negativ beeinflußt wer­den konnte. Über sehr lange Zeiträume verlief sie mög­licherweise am schnellsten in Regionen mit mittlerer geographischer Geschlossenheit. Die technologische Entwicklung der letzten tausend Jahre in China, Eur­opa und auf dem indischen Subkontinent veranschau­licht die Auswirkungen hoher, mittlerer und geringer geographischer Geschlossenheit.
    Natürlich gab es weitere Faktoren, die zum unter­schiedlichen Verlauf der Geschichte in verschiedenen Teilen Eurasiens beitrugen. So waren Vorderasien, China und Europa in unterschiedlichem Maße der Bedrohung durch den Ansturm von Reiternomaden aus Zentralasi­en ausgesetzt. Die berittenen Horden eines dieser Hir­tenvölker, der Mongolen, zerstörten zwar am Ende so­gar die uralten Bewässerungsanlagen im Iran und Irak, doch gelang es keinem der asiatischen Nomadenvölker, sich in den Wäldern Westeuropas jenseits der ungari­schen Tiefebene festzusetzen. Ein weiterer Umweltfak­tor war die zentrale Lage Vorderasiens im Schnittpunkt von Handelsverbindungen zwischen China, Indien und Europa, während China von den anderen fortgeschrit­tenen Zivilisationen Eurasiens stärker isoliert war und im Grunde einer riesigen Insel innerhalb eines Konti­nents glich. Von Bedeutung war die relative Abgeschie­denheit Chinas insbesondere auch im Hinblick darauf, daß Techniken, die sich bereits durchgesetzt hatten, spä­ter wieder aufgegeben wurden, was stark an Vorgänge auf Tasmanien und anderen Inseln erinnert (Kapitel 12 und 14). Diese kurze Darstellung mag zumindest einen kleinen Eindruck davon vermitteln, welche bedeuten­de Rolle Umweltfaktoren nicht nur für das, was ich als Grundmuster des Geschichtsverlaufs bezeichnet habe, sondern auch für historische Entwicklungen in kleine­rem zeitlichem und räumlichem Maßstab spielen.
    Die Geschichte Chinas und des Fruchtbaren Halb­monds hält für die moderne Welt aber auch eine heilsa­me Lehre bereit: Die Zeiten ändern sich, und Vorherr­schaft in der Vergangenheit garantiert keine Vorherr­schaft in der Zukunft. Man könnte sogar fragen, ob die geographische Argumentation, auf die ich mich in die­sem Buch durchweg gestützt habe, für die moderne Welt nicht jede Bedeutung verloren hat, wo doch Ideen heute blitzschnell über das Internet in jeden Winkel des Glo­bus dringen und Güter über Nacht per Luftfracht von einem Kontinent zum anderen befördert werden. Man könnte meinen, daß im globalen Wettbewerb der Völ­ker ganz neue Regeln gelten, mit der Folge des Aufstiegs neuer Mächte – etwa Taiwan, Korea, Malaysia und ins­besondere Japan.
    Bei genauerer Überlegung wird jedoch klar, daß die scheinbar neuen Regeln nur Varianten der alten sind. Ja, es stimmt, daß der Transistor, 1947 von Bell Labs im Osten der USA erfunden, einen Sprung über eine Ent­fernung von 13 000 Kilometern machte und in Japan den Grundstein für eine Elektronikindustrie legte – er versäumte indes den kürzeren Sprung nach Zaire oder Paraguay. Die Länder, die in der Gegenwart zu neuer Macht aufsteigen, sind in der Regel jene, die schon vor Jahrtausenden mit den alten, auf Landwirtschaft basie­renden Machtzentren verbunden waren oder von dort neu besiedelt wurden. Im Gegensatz zu Zaire und Pa­raguay konnten Japan und die anderen Aufsteiger der letzten Jahrzehnte Transistoren in wirtschaftlichen Er­folg ummünzen, weil ihre Bevölkerungen schon seit vie­len Jahrhunderten mit der Schrift, mit Maschinen und zentralisierter politischer Macht vertraut waren. Die bei­den ältesten Zentren der Landwirtschaft, der Fruchtbare Halbmond und China, dominieren noch heute die Welt, entweder durch ihre unmittelbaren Nachfolgestaaten

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