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Arm und Reich

Arm und Reich

Titel: Arm und Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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legt den Schluß nahe, daß die Domestikation dort erfolgt sein muß, wo die wilden Vorfahren heimisch sind. So werden Kichererbsen von Kleinbauern im Mittel­meerraum, in Äthiopien und weiter östlich bis nach Indi­en angebaut, wobei auf den indischen Subkontinent heu­te 80 Prozent der Weltproduktion dieser Frucht entfallen. Man könnte daraus den irrtümlichen Schluß ziehen, daß die Kichererbse wohl in Indien domestiziert wurde. Nun kommen aber die wildwachsenden Vorfahren der Ki­chererbse nirgendwo außer im Südosten der Türkei vor. Die Interpretation, daß Kichererbsen tatsächlich dort do­mestiziert wurden, wird noch gestützt durch die Tatsa­che, daß die ältesten Funde möglicherweise domestizier­ter Kichererbsen aus neolithischen Ausgrabungsstätten im Südosten der Türkei und im benachbarten Syrien aus der Zeit um 8000 v. Chr. stammen, während die Kicher­erbse in Indien erst mehr als 5000 Jahre später archäo­logisch in Erscheinung trat.
    Bei einer zweiten Methode zur Ermittlung des Domestikations gebiets von Pflanzen­oder Tierarten werden die Zeitpunkte, an denen die domestizierte Form an verschiedenen Orten zum erstenmal auftrat, in eine Karte eingezeichnet. Der jeweils früheste Ort kommt da­bei als Stätte der ursprünglichen Domestikation in Be­tracht – vor allem, wenn die wilden Ahnen dort eben­falls vorkamen und die Daten des ersten Auftretens an anderen Orten mit zunehmender Entfernung vom mut­maßlichen Ort der Erstdomestikation immer jünger wer­den, was auf einen entsprechenden Ausbreitungsverlauf hindeutet. Zum Beispiel tauchte Emmerweizen erstmals um 8500 v. Chr. im Bereich des Fruchtbaren Halbmonds auf. Bald darauf breitete sich die Pflanze immer weiter nach Westen aus, bis sie um 6500 v. Chr. Griechenland und um 5000 v. Chr. das Gebiet des heutigen Deutsch­land erreichte. Diese Daten lassen darauf schließen, daß Emmerweizen in Vorderasien domestiziert wurde, wo­für auch spricht, daß wilder Emmer heute nur in dem Gebiet zwischen Israel, dem westlichen Iran und der Türkei vorkommt.
    Kompliziert wird es jedoch, wie wir sehen werden, in vielen Fällen, in denen die gleichen Pflanzen­oder Tierarten an verschiedenen Orten unabhängig vonein­ander domestiziert wurden. Entdeckt werden derarti­ge Fälle oft anhand von morphologischen, genetischen oder chromosomalen Unterschieden zwischen Vertre­tern der gleichen Kulturpflanzen oder Haustiere in ver­schiedenen Gebieten. So besitzt beispielsweise das in­dische Zeburind im Unterschied zu den Rinderrassen des westlichen Eurasien einen Höcker. Erbgutanalysen zeigen, daß sich der gemeinsame Stammbaum der heu­tigen Rinderrassen Indiens und Westeurasiens bereits vor Hunderttausenden von Jahren gabelte, also lange bevor die Domestikation von Tieren irgendwo auf der Welt begann. Das bedeutet aber, daß Rinder in Indi­en und Westeurasien innerhalb der letzten 10 000 Jah­re unabhängig voneinander aus wilden indischen und westeurasischen Rinderrassen, die vor Hunderttausen­den von Jahren den gemeinsamen Stammbaum verlie­ßen, domestiziert wurden.

    Abbildung 4.1. Unabhängige Entstehungszentren der Land­wirtschaft. Bei den mit Fragezeichen markierten Regionen besteht Ungewißheit, ob die Landwirtschaft tatsächlich unbeein­flußt von anderen Zentren entstand beziehungsweise (im Fall Neuguineas) welches die ersten Kulturpflanzen waren .
    Kommen wir nun zurück auf die bereits erwähnten Wi­dersprüche im Zusammenhang mit der Entstehung der Landwirtschaft. Wo, wann und wie entwickelte sie sich in verschiedenen Teilen der Erde?
    Der eine Extremfall sind Gebiete, in denen die Land­wirtschaft völlig unabhängig entstand und wo etliche heimische Pflanzen (und in manchen Fällen auch Tiere) domestiziert wurden, lange bevor Kulturpflanzen oder Haustiere aus anderen Regionen hinzukamen. Es gibt nur fünf solcher Gebiete, für die nach heutigem For­schungsstand überzeugende, detaillierte Anhaltspunk­te vorliegen: Vorderasien, auch bekannt als Naher Osten oder Fruchtbarer Halbmond, China, Mesoamerika (Zen­tral- und Südmexiko mit südlich angrenzenden Regio­nen), die südamerikanischen Anden und eventuell auch das benachbarte Amazonasbecken sowie der Osten der heutigen USA (Abbildung 4.1). Einige oder vielleicht auch alle diese Gebiete umfaßten möglicherweise meh­rere benachbarte Zentren, in denen die Landwirtschaft mehr oder weniger unabhängig erfunden wurde, wie beispielsweise im Tal des Gelben Flusses in Nordchina

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