Arm und Reich
Tieren stammten, spielten eine entscheidende Rolle beim Sieg der Europäer über Indianer, Australier, Südafrikaner und Pazifikinsulaner.
Kurzum, die Domestikation von Pflanzen und Tieren führte zur Erzeugung von erheblich mehr Nahrung und somit zu viel höheren Bevölkerungsdichten. Nahrungsmittelüberschüsse und (in einigen Gebieten) die Möglichkeit zum Transport dieser Überschüsse mit Hilfe von Tieren schufen die Voraussetzung für die Entstehung seßhafter, politisch zentralisierter, sozial und ökonomisch differenzierter und technisch innovativer Gesellschaften. Die Verfügbarkeit domestizierter Pflanzen und Tiere liefert also die eigentliche Erklärung dafür, daß Schrift, Waffen aus Stahl und politische Reiche am frühesten in Eurasien aufkamen, auf anderen Kontinenten dagegen erst später oder gar nicht. Die militärische Nutzung von Pferden und Kamelen und die tödliche Wirkung von Krankheitserregern, die letztendlich tierischen Ursprungs waren, vervollständigen die Liste der wichtigsten Bindeglieder zwischen Landwirtschaft und Eroberung, denen wir im weiteren nachgehen wollen.
KAPITEL 4
Habende und Habenichtse der Geschichte
Unterschiedliche geographische Voraussetzungen für den Beginn der Landwirtschaft
E in großer Teil der Menschheitsgeschichte bestand aus ungleichen Auseinandersetzungen zwischen den Habenden und den Habenichtsen: zwischen Völkern mit und ohne Landwirtschaft beziehungsweise zwischen solchen, die zu verschiedenen Zeitpunkten mit ihr begannen. Es überrascht nicht, daß der Übergang zur Landwirtschaft in weiten Teilen der Erde, in denen die Nahrungsgewinnung auch heute noch ein schwieriges oder gar unmögliches Unterfangen ist, aus ökologischen Gründen nie stattfand. So kam in der nordamerikanischen Arktis in vorgeschichtlicher Zeit weder Ackerbau noch Viehzucht auf, und auch in der eurasischen Arktis bestand das einzige landwirtschaftliche Element, das sich entwickelte, in der Haltung von Rentierherden. In Wüstengebieten ohne Möglichkeit zur Bewässerung war die spontane Entstehung einer Landwirtschaft ebenfalls ausgeschlossen, wofür das australische Landesinnere und einige Gebiete des amerikanischen Westens Beispiele darstellen. Was nach einer Erklärung schreit, ist dagegen das Ausbleiben der Entstehung landwirtschaftlicher Produktionsformen in einigen Regionen der Welt, die sich von den Umweltbedingungen her ausgezeichnet geeignet hätten und die heute zu den fruchtbarsten Zentren der Landwirtschaftgehören. Derart rätselhafte Gebiete, deren Bewohner beim Eintreffen der Europäer noch als Jäger und Sammler lebten, waren insbesondere Kalifornien und die anderen Pazifikstaaten der USA, die argentinische Pampa, der Südwesten und Südosten Australiens sowie ein Großteil der südafrikanischen Kapregion. Hätten wir die Welt im Jahr 4000 v. Chr. inspiziert, also Tausende von Jahren nach dem Aufkommen der Landwirtschaft an ihren ältesten Stätten, würde uns noch mehr überraschen, daß einige Gebiete, die damals keine Landwirtschaft kannten, heute zu den größten Kornkammern der Erde zählen. In diese Kategorie fallen die übrigen Gebiete der USA, England und ein großer Teil Frankreichs, Indonesien und ganz Afrika südlich des Äquators. Verfolgt man die Landwirtschaft sodann zu ihren Anfängen zurück, sorgen die Entstehungsorte für noch mehr Verwunderung. Unter ihnen findet man nämlich Gebiete, die heutzutage alles andere als Kornkammern sind, sondern eher trockene ökologische Problemgebiete wie Irak und Iran, Mexiko, die Anden, Teile Chinas und die afrikanische Sahelzone. Warum entwickelte sich die Landwirtschaft zuerst dort und erst später oder gar nicht in den fruchtbarsten Anbauund Weidegebieten der Gegenwart?
Rätsel geben auch die geographischen Unterschiede in der Art und Weise der Entstehung der Landwirtschaft auf. An nur wenigen Orten wurde sie eigenständig aus der Taufe gehoben, indem örtlich vorkommende Pflanzen und Tiere durch die Bewohner der jeweiligen Gebiete domestiziert wurden. An den meisten Orten wurde sie vielmehr in Form von Nutzpflanzen und Haustieren, die anderswo domestiziert worden waren, importiert. Da sich jene Gebiete, in denen die Landwirtschaft nicht von allein entstand, als für diese bestens geeignet erwiesen, sobald domestizierte Pflanzen und Tiere eintrafen, stellt sich die Frage, warum ihre Bewohner nicht ohne fremde Hilfe Pflanzen und Tiere ihrer Umgebung
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