Arm und Reich
importierter Pflanzen ohne Domestikation heimischer Arten und unter massiver Verdrängung einer Bevölkerungsgruppe durch eine andere.
Das gleiche Schema eines abrupten Beginns der Landwirtschaft, ausgelöst durch das Eintreffen von Kulturpflanzen und Haustieren fremder Herkunft und verbunden mit einer ebenso abrupten und massiven Bevölkerungsverdrängung, scheint sich in prähistorischer Zeit vielerorts wiederholt zu haben. In Ermangelung schriftlicher Aufzeichnungen sind wir bei der Spurensuche auf archäologische und linguistische Indizien angewiesen. Die am besten belegten Fälle sind jene, bei denen zweifelsfrei feststeht, daß es zu einer Bevölkerungsverdrängung kam, da die Neuankömmlinge, die im Besitz der Landwirtschaftwaren, einen deutlich anderen Knochenbau hatten als die ihnen unterlegenen Jäger und Sammler und sie neben Kulturpflanzen und Haustieren auch die Töpferei mitbrachten. In späteren Kapiteln werde ich auf zwei besonders deutliche Beispiele für solche Geschehnisse eingehen: die austronesische Expansion von Südchina zu den Philippinen und nach Indonesien (Kapitel 16) und die Ausbreitung der Bantu-Völker über die Äquatorzone hinaus bis ins südliche Afrika (Kapitel 18).
Für Südost- und Mitteleuropa ergibt sich ein ähnliches Bild einer plötzlich auftauchenden Landwirtschaft (basierend auf Kulturpflanzen und Haustieren aus Vorderasien) und Töpferei. Im Zuge dieser Entwicklung kam es wahrscheinlich auch dort, wo heute Griechenland und Deutschland liegen, zur Verdrängung von Jägern und Sammlern durch bäuerliche Zuwanderer – ganz ähnlich wie auf den Philippinen, in Indonesien und Äquatorialafrika, wo ebenfalls Alt- durch Jungvölker ersetzt wurden. Die Skelettunterschiede zwischen den frühen Jägern und Sammlern und den Bauern, die an ihre Stelle traten, sind in Europa jedoch weniger ausgeprägt als auf den Philippinen, in Indonesien und Äquatorialafrika, so daß in Europa weniger für einen Prozeß der Bevölkerungsverdrängung spricht.
Wir können zusammenfassen, daß die Landwirtschafteigenständig und zu sehr unterschiedlichen Zeitpunkten in nur wenigen Gebieten der Welt entstand. Von diesen Kerngebieten übernahmen Jäger und Sammler in einigen benachbarten Regionen landwirtschaftliche Methoden, während die Bewohner anderer angrenzender Regionen durch eindringende Ackerbauern verdrängt wurden – wiederum zu sehr unterschiedlichen Zeitpunkten. Weiter haben wir festgestellt, daß manche Völker in Gebieten, deren Umweltbedingungen gute Voraussetzungen für Ackerbau und Viehzucht boten, in prähistorischer Zeit weder selbst die Landwirtschaft erfanden noch von außen importierten, sondern die Jagd- und Sammelwirtschaft beibehielten, bis die moderne Welt schließlich über sie hereinbrach. Die Bewohner von Gebieten, die einen Vorsprung in der Landwirtschaft besaßen, erlangten zugleich auch einen Vorsprung auf dem Weg zur modernen technischen Zivilisation. Das bekannte Resultat ist eine lange Kette von Kollisionen zwischen den Habenden und den Habenichtsen der Geschichte.
Wie erklären sich diese geographischen Unterschiede im Zeitpunkt und in der Art und Weise, wie die Landwirtschaft auf den Plan trat? Diese Frage, die zu den wichtigsten der Vorgeschichte zählt, ist Gegenstand der nächsten fünf Kapitel.
KAPITEL 5
Bauer sein oder nicht sein
Gründe für die Ausbreitung der Landwirtschaft
E inst waren alle Bewohner der Erde Jäger und Sammler. Wie kam es, daß einige anfingen, Landwirtschaft zu betreiben? Geht man einmal davon aus, daß sie wohl irgendeinen Grund dafür hatten, stellt sich die Frage, warum der Übergang in den mediterranen Lebensräumen im Bereich des Fruchtbaren Halbmonds um 8500 v. Chr. begann, in den klimatisch und landschaftlich recht ähnlichen Lebensräumen Südwesteuropas erst 3000 Jahre später und in den vom Klima her ebenfalls mediterranen Lebensräumen Kaliforniens, Südwestaustraliens und der südafrikanischen Kapregion nie eigenständig erfolgte. Warum warteten selbst die Bewohner Vorderasiens bis 8500 v. Chr., statt schon um 18 500 oder gar 28 500 v. Chr. zu Ackerbauern und Viehzüchtern zu werden?
Aus heutiger Perspektive erscheinen all diese Fragen auf den ersten Blick albern, liegen doch die Nachteile der Jagd- und Sammelwirtschaft auf der Hand. Von Wissenschaftlern wurde in dem Zusammenhang früher gern Thomas Hobbes zitiert, der diese Lebensweise als
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