Arm und Reich
Weizen, Gerste und andere zuvor im Bereich des Fruchtbaren Halbmonds domestizierte Pflanzen an, die offenbar über Persien den Weg ins Industal gefunden hatten. Erst später tauchten in den Dörfern des Industals domestizierte Pflanzen und Tiere auf, die, wie Buckelrinder und Sesam, von heimischen Arten des indischen Subkontinents abstammten. Auch in Ägypten begann die Landwirtschaft im 6. Jahrtausend v. Chr. mit der Ankunft von Kulturpflanzen aus Vorderasien. Später domestizierten die Ägypter dann den Maulbeerfeigenbaum und die Erdmandel.
Nach dem gleichen Muster verlief die Entwicklung vielleicht auch in Äthiopien, wo Weizen, Gerste und andere Kulturpflanzen aus Vorderasien seit Jahrtausenden angebaut werden. Die Äthiopier domestizierten zahlreiche örtliche Wildpflanzen, deren heutige Varianten im wesentlichen immer noch auf Äthiopien beschränkt sind; eine aber, die Kaffeebohne, trat einen Siegeszug um den Erdball an. Noch nicht bekannt ist, ob die Äthiopier ihre heimischen Gewächse vor oder erst nach Ankunft des »Gründerpakets« aus Vorderasien anbauten.
In diesen und anderen Regionen, wo die Entstehung der Landwirtschaft von der Ankunft von Kulturpflanzen aus anderen Gebieten abhing, stellt sich die Frage, ob die jeweilige lokale Jäger- und Sammlerbevölkerung die »Gründerpflanzen« von benachbarten bäuerlichen Völkern übernahm und auf diese Weise selbst bäuerlich wurde oder ob das »Gründerpaket« von eindringenden Bauernvölkern mitgebracht wurde, die durch seinen Besitz in der Lage waren, sich schneller zu vermehren als die örtlichen Jäger und Sammler, und diese dann töteten, vertrieben oder zur Minderheit machten.
In Ägypten war wahrscheinlich ersteres der Fall: Örtliche Jäger und Sammler ergänzten ihren Speiseplan, auf dem zuvor nur Wildpflanzen und -tiere gestanden hatten, um die aus Vorderasien importierten Kulturpflanzen und Haustiere und führten Ackerbau- und Viehzuchttechniken ein, um dann nach und nach auf wildwachsende Nahrung zu verzichten. In Ägypten kam demnach die Landwirtschaft in Gestalt fremder Pflanzen und Tiere auf, nicht aber in Gestalt fremder Völker. Ähnlich könnte es an der europäischen Atlantikküste gewesen sein, wo örtliche Jäger und Sammler offenbar im Laufe vieler Jahrhunderte anfingen, Schafe zu halten und Getreide aus Vorderasien anzubauen. In der südafrikanischen Kapregion wurden die Jäger und Sammler vom Volk der Khoi zu Viehzüchtern (aber nicht zu Bauern), indem sie Schafe und Kühe von weiter nördlich lebenden Völkern (und letztendlich aus Vorderasien) übernahmen. Ähnlich wurden indianische Jäger und Sammler im Südwesten der heutigen USA nach und nach zu Bauern, nachdem sie in den Besitz von Kulturpflanzen aus Mexiko gelangt waren. Für diese vier Regionen gibt es keine oder nur wenige Hinweise auf eine Domestikation heimischer Pflanzen und Tiere in der Entstehungsphase der Landwirtschaft; für die Verdrängung einer Bevölkerung durch eine andere spricht allerdings ebenfalls nichts oder nur wenig.
Der entgegengesetzte Extremfall sind Regionen, bei denen wir sicher sein können, daß die Landwirtschaft mit der Ankunft von Angehörigen fremder Völker, die Nutzpflanzen und Haustiere mitbrachten, abrupt in Erscheinung trat. Unsere Sicherheit rührt daher, daß es sich um Ereignisse der jüngeren Geschichte handelt und die Ankömmlinge Europäer waren, die in zahllosen Büchern festhielten, was geschah. Zu den Schauplätzen zählten Kalifornien, der pazifische Nordwesten Nordamerikas, die argentinische Pampa, Australien und Sibirien. Noch vor wenigen Jahrhunderten lebten dort ausschließlich Jäger und Sammler, genauer gesagt: Indianer in den ersten drei genannten Regionen und australische Aborigines beziehungsweise Sibirjaken in den beiden letztgenannten. Die Urbevölkerungen wurden von einwandernden europäischen Ackerbauern und Viehzüchtern, die eigene Kulturpflanzen mitbrachten und in ihrer neuen Heimat keine lokalen Arten domestizierten (mit Ausnahme der Macadamianuß in Australien), umgebracht, mit Krankheiten angesteckt, vertrieben oder an den Rand gedrängt. In der südafrikanischen Kapregion fanden die anrückenden Europäer nicht nur Jäger und Sammler vom Volk der Khoi vor, sondern auch Khoi-Viehzüchter, die bereits domestizierte Tiere, jedoch keine Nutzpflanzen besaßen. Das Resultat war, wie schon so oft zuvor, der Beginn der Landwirtschaft auf der Basis
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