Armageddon 01 - Die unbekannte Macht
sondern eher Ungeduld. Die mentale Stimme besaß einen Unterton von Pikiertheit.
Syrinx stemmte die Hände in die Hüften. – Fang endlich an, ja?
Die Oenone hatte im vergangenen Monat stetig Energie aus der nahrungsproduzierenden Kugel abgesaugt. Nachdem ihre Wachstumsphase endlich zu Ende war, war die Belastung für die zahlreichen Induktionskabel stark zurückgegangen, und nun war das Raumschiff imstande, den langwierigen Aktivierungsprozeß für seine Energiemusterzellen einzuleiten. Inzwischen waren die Energiespeicher voll genug, um ein Raumverzerrungsfeld zu schaffen, womit es imstande sein würde, Energie direkt aus dem umgebenden All abzusaugen. Falls die Oenone das Verzerrungsfeld nicht unter Kontrolle bekam, würden sich die Energiemusterzellen wieder deaktivieren, und man mußte eine Rettungsmannschaft aussenden. Derartige Rettungsmissionen waren in der Vergangenheit nicht immer erfolgreich verlaufen.
Doch mit Syrinx’ Zuspruch und Ermutigung als Stütze leitete die Oenone die Abkopplung von ihrer Nährstoffkugel ein. Gewebeschläuche rissen an den dafür vorgesehenen Stellen. Warme Körperflüssigkeiten spritzten in das All und agierten wie primitive Raketenmotoren, indem sie die Spannung auf die verbliebenen Schläuche noch erhöhten. Organische Leiter rissen und versiegelten sich reflexhaft, während ihre langen Tentakel wild in der Wolke aus verdampfter Flüssigkeit peitschten. Schließlich riß der letzte Verbindungsschlauch, und die Nahrungskugel torkelte davon wie ein durchlöcherter Luftballon.
– Siehst du? fragte Syrinx. – Es ist ganz einfach. Syrinx und Oenone erinnerten sich gemeinsam, indem sie die phantomartigen Wissensfragmente eines Voidhawks namens Iasius durchgingen. Um ein Raumverzerrungsfeld zu erschaffen, mußte man lediglich einen initiierenden Energieimpuls in den Musterzellen erzeugen, einfach so. Der Energiefluß kam in Gang, und das Wabengeflecht aus Musterzellen erwachte zum Leben. Innerhalb von Nanosekunden komprimierte es die Raumdichte in Richtung der Unendlichkeit.
Das Verzerrungsfeld schoß nach draußen und blähte sich ungestüm.
– Ganz ruhig, instruierte Syrinx das Schiff sanft. Die Feldschwankungen nahmen ab. Das Feld veränderte seine Form, wurde stabiler und verdichtete schließlich die Strahlung des umgebenden Raums zu einem spürbaren Fluß. Die Musterzellen begannen den Fluß zu absorbieren. Ein himmlisches Gefühl der Befriedigung erfaßte das junge Schiff.
– Ja! Wir haben es geschafft! Sie umarmten sich mental. Edeniten und Voidhawks gleichermaßen gratulierten ihnen. Syrinx suchte nach ihren Geschwistern und überzeugte sich, daß all ihre Schiffe stabile Verzerrungsfelder generiert hatten. Als könnten Athenes Kinder versagen!
Gemeinsam fingen Syrinx und die Oenone an zu experimentieren. Sie veränderten die Form des Feldes, änderten die Stärke, und der Voidhawk setzte sich in Bewegung, stieg aus seinem Orbit über die Ringe hinaus in den freien Raum und hatte zum allerersten Mal in seinem Leben einen gänzlich ungehinderten Blick auf die Sterne. In Syrinx regte sich ein Gefühl, als brauste ihr der Fahrtwind ins Gesicht und zerzauste ihr Haar. Sie war ein Matrose auf dem Holzdeck eines antiken Seglers, der über den endlosen Ozean glitt.
Drei Stunden später glitt die Oenone in die Lücke zwischen der nördlichen Abschlußkappe von Romulus und dem entgegengesetzt rotierenden Landedock. Der Voidhawk begann einen wilden Kurvenflug, als er sich dem Dock näherte.
Syrinx sah, wie das Schiff scheinbar aus dem Nichts auftauchte. – Ich kann dich sehen! Es hatte so verdammt lange gedauert!
– Ich dich auch! antwortete die Oenone liebevoll.
Syrinx sprang vor Freude in die Höhe – und segelte drei Meter über das Sims.
– Immer schön vorsichtig, mahnte die Oenone.
Syrinx lachte nur.
Das Schiff glitt über den Rand des Simses und schwebte schließlich über dem am nächsten gelegenen freien Dock. Als der Voidhawk zur Landung ansetzte, war Syrinx nicht mehr zu halten. Sie rannte auf ihr Schiff zu, laut jubelnd, mit wedelnden Armen, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Die glatte mitternachtsblaue Hülle der Oenone war von einem feinmaschigen purpurnen Geflecht überzogen.
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4. Kapitel
Der Ruinenring bildete ein schmales, dichtes Halo von drei Kilometern Dicke und siebzig Kilometern Breite. Er befand sich in einem fünfhundertsiebzigtausend Kilometer hohen Orbit über dem Gasriesen Mirchusko. Die Albedo des Gebildes war
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