Armageddon 01 - Die unbekannte Macht
überlappte.
Joshua drückte die Zehenspitze in das harte Gras und spürte den harten Boden. »Es ist sehr trocken«, stellte er überrascht fest. »Reicht denn das Wasser aus, um die Tränen zu füllen?«
»Es regnet nie um diese Jahreszeit«, antwortete Louise. »Jedenfalls nicht auf den bewohnten Inseln. Die Luftströmungen tragen sämtliche Wolken zu den Polregionen. Der größte Teil der Eiskappen schmilzt unter den sintflutartigen Regenfällen, obwohl die Temperaturen nur knapp über dem Gefrierpunkt liegen. Wir betrachten es im Gegenteil sogar als ausgesprochenes Pech, wenn es hier in unserer Gegend in der Woche vor dem Mittsommertag regnet. Die Rosen speichern sämtliche Feuchtigkeit, die sie für die Tränen benötigen, im Verlauf des Frühlings in ihren Wurzeln.«
Joshua griff nach oben und berührte eine der großen Blüten. Er war überrascht, wie hart und unnachgiebig der Stengel war. »Ich hatte keine Ahnung, daß die Blüten so riesig sind!«
»Das hier ist ein alter Hain«, antwortete Louise. »Die Rosen sind fünfzig Jahre alt, und sie werden sicher noch zwanzig Jahre älter. Wir bepflanzen jedes Jahr ein paar Haine mit neuen Rosen aus unseren Zuchtbetrieben.«
»Das klingt nach einer ganzen Menge Arbeit. Ich würde es gerne ansehen. Vielleicht könnten Sie es mir zeigen? Sie scheinen eine ausgesprochene Kapazität zu sein, was die Rosenzucht betrifft.«
Louise errötete erneut. »Ja, das bin ich … ich meine, das werde ich … sehr gerne«, stammelte sie.
»Es sei denn natürlich, Sie haben anderweitige Verpflichtungen«, sagte Joshua lächelnd. »Schließlich möchte ich Ihnen nicht Ihre kostbare Zeit stehlen.«
»Das tun Sie ganz gewiß nicht«, versicherte sie ihm hastig.
»Sehr gut.«
Sie stellte überrascht fest, daß sie sein Lächeln die ganze Zeit erwidert hatte, ohne es zu bemerken.
Joshua und Dahybi mußten sich bis zum späten Nachmittag gedulden, bevor sie Grant Kavanagh und seiner Frau Marjorie vorgestellt wurden. Für Joshua bot sich eine willkommene Gelegenheit, das große Herrenhaus und die umliegenden Ländereien zu besichtigen, wobei Louise die Rolle der kompetenten Fremdenführerin übernahm. Das Haus war beeindruckend; eine ganze Armee unauffälliger Dienstboten war nötig, um die Räumlichkeiten in tadellosem Zustand zu halten, und die Besitzer hatten sehr viel Geld darauf verwandt, die Einrichtung so geschmackvoll wie möglich zu gestalten. Selbstverständlich basierte das Design unübersehbar auf einem terranischen Kolonialstil des achtzehnten oder neunzehnten Jahrhunderts, eine winzige Enklave aus der menschlichen Geschichte.
Glücklicherweise hatte sich William Elphinstone von ihnen verabschiedet mit der Begründung, er habe noch in den Rosenhainen zu tun. Allerdings begegneten sie Genevieve Kavanagh, als die Kutsche gerade vom Grundstück fuhr. Louises jüngere Schwester blieb den gesamten Nachmittag über bei ihnen. Sie kicherte die ganze Zeit über.
Joshua war nicht an Kinder in Genevieves Alter gewöhnt, und seiner Meinung nach war sie ein verzogenes Gör, das nach dem einen oder anderen tüchtigen Klaps auf den Hintern verlangte. Wäre nicht Louise gewesen, er hätte kaum der Versuchung widerstehen können, sie übers Knie zu legen. Statt dessen litt er schweigend und versuchte, das meiste aus dem zu machen, wie sich Louises Kleid über ihrem Körper verschob, wenn sie sich bewegte. Es gab herzlich wenig, was sonst noch seine Aufmerksamkeit hätte erwecken können. Für das uneingeweihte Auge lagen die Ländereien jenseits des Herrenhauses mit seinem Park wie verlassen da.
Der Mittsommer auf Norfolk war eine Zeit, da fast jeder, der auf dem Land lebte, bei der Ernte der weinenden Rosen half. Das fahrende Volk der Zigeuner war hoch gefragt, und Gutsbesitzer wie unabhängige Rosenzüchter lagen im Wettstreit um ihre Arbeitskraft. Selbst die Schulferien (Auf ganz Norfolk gab es keinen einzigen didaktischen Laserpräger) waren auf die Erntezeit abgestimmt, damit Kinder genügend Zeit hatten, ihren Eltern zu helfen. Richtig gelernt wurde nur im Winter. Und weil die gesamte Tränenernte innerhalb von zwei Tagen eingebracht werden mußte, war die richtige Vorbereitung ein mühsames und aufreibendes Unterfangen.
Mit mehr als zweihundert Rosenhainen auf den Ländereien (ohne die an Bauern verpachteten) war Grant Kavanagh in den Tagen vor dem Mittsommer der mit Arbeit am meisten überhäufte Mann von allen in ganz Stoke County. Er war sechsundfünfzig Jahre
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