Armageddon 01 - Die unbekannte Macht
gedämpfte Stimmung Athenes Bewußtsein, und das schreckliche Geschehen offenbarte sich in aller Deutlichkeit.
– Ist denn überhaupt nichts von ihm geblieben? fragte sie leise.
– Ein wenig, antwortete Syrinx. – Aber es ist wirklich nur sehr wenig. Es tut mir so leid, Mutter.
– Mir würde schon ein einziger Gedanke reichen.
Als sich die Oenone dem Romulus-Habitat näherte, übergab sie die gespeicherten Gedankenfragmente an die Habitat-Persönlichkeit, ein kostbarer, unbestimmbarer Rest von Leben, das einzige, was von Thetis und seiner Besatzung geblieben war.
Athenes Freunde, Liebhaber und Ehemänner aus vergangenen Zeiten erschienen aus der Multiplizität der Habitat-Persönlichkeit, um ihr Unterstützung und Trost anzubieten und den schweren Schlag so gut zu dämpfen, wie es in ihrer Macht stand. – Wir werden alles tun, was wir können, versicherten sie ihr. Athene spürte, wie die flüchtigen Überreste ihres Sohnes langsam zu einem beständigeren Ganzen verwoben wurden, und sie zog ein klein wenig Trost aus dieser Tatsache.
Der Tod war für Athene nichts wirklich Fremdes, doch dieser Verlust hatte sie besonders schwer getroffen. Sie hatte insgeheim immer in der festen Überzeugung gelebt, daß die Voidhawks und ihre Kommandanten irgendwie unsterblich waren oder zumindest immun gegen einen derartigen Schicksalsschlag. Ein dummer, beinahe kindlicher Glaube – doch Thetis war wie Syrinx eines der Kinder, die Athene am meisten schätzte: Ihre letzte Verbindung mit der Iasius, ihre gemeinsamen Nachkommen.
Eine halbe Stunde später stand Athene in pechschwarzer Schiffskleidung in der Ankunftshalle des Raumhafens, eine stolze, einsame Gestalt, deren Falten im Gesicht jedes einzelne ihrer hundertfünfunddreißig Lebensjahre verrieten wie noch nie zuvor. Sie blickte auf das Sims hinaus, als die Oenone und ihre besorgte Eskorte, zwei Voidhawks der Saturn-Verteidigungsschwadron, aus der Dunkelheit gekrochen kamen. Die Oenone sank auf einen freien Sockel und gab einen sehr menschlichen Seufzer der Erleichterung von sich. Nahrungsschläuche im Sockel bewegten sich unruhig wie blinde stummeiförmige Tentakel auf der Suche nach den Mundöffnungen an der Unterseite des Voidhawks. Zahlreiche Schließmuskeln erschlafften und zogen sich wieder zusammen, um eine dichte Verbindung herzustellen. Die Oenone verschlang die Nahrungsflüssigkeit des Habitats mit dem Heißhunger einer Wölfin und stillte den Durst, der die Vitalität aus jeder ihrer Zellen saugte. Sie waren nicht länger in Oshanko geblieben, als es gedauert hatte, Henry Siclari an die Raumhafenbehörden zu übergeben und die edenitischen Spezialisten für Affinitätsbandjustierung gebraucht hatten, um endgültig das Kommando über die Vermuden zu übernehmen. Anschließend hatte Syrinx darauf bestanden, direkt zum Saturn zurückzukehren.
Athene sah auf den großen Voidhawk, und ernste Sorge stieg in ihr auf.
Die Oenone war in einem traurigen Zustand. Der Schaum auf der Hülle war versengt und löste sich in großen Fetzen, die Wärmeableiter des Mannschaftstoroids waren zerschmolzen, die elektronischen Sensoren zu kleinen Bächen geronnener Schlacke zerschmolzen, die Zellen der Sensorbündel, die mit angesehen hatten, wie die Dymasio sich in die Luft gejagt hatte, verbrannt und tot.
– Mir fehlt nichts, sagte die Oenone. – Größtenteils wurden nur die mechanischen Systeme beschädigt. Und die Biotechniker können mir neue Sensorbündel einpflanzen. Ich werde mich jedenfalls nie wieder beschweren, wenn man mich in Schaum hüllen will, fügte sie kleinlaut hinzu.
Als Syrinx durch die Luftschleuse kam, waren ihre Wangen eingefallen und hohl. Das Haar hing schlaff an den Seiten herab, und sie ging wie jemand, der zum Tode verurteilt worden war. Athene spürte, wie schließlich doch noch Tränen in ihr aufstiegen, und schloß die gramgebeugte Tochter in ihre Arme, um die ausgelaugten Gedanken mit empathischem Mitgefühl und mütterlicher Fürsorge zu trösten.
– Es war nicht deine Schuld, mein Kind.
– Wenn ich nicht …
– Still, befahl Athene entschieden. – Du schuldest Thetis und der Graeae zumindest, daß du nicht in bodenloses Selbstmitleid versinkst. Du bist viel stärker als das. Sehr viel stärker.
– Ja, Mutter.
– Thetis hat getan, was er wollte. Er hat das Richtige getan. Sag mir, wie viele Millionen Leben es gekostet hätte, wenn diese Antimaterie auf einer schutzlosen Planetenoberfläche eingesetzt worden wäre?
– Sehr
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