Armageddon 01 - Die unbekannte Macht
Erwachsene ausschließen, und Freunde, die das Wichtigste auf der ganzen Welt bedeuten – das mag alles schön und gut sein, aber der größte Teil dessen, was einen Zehnjährigen ausmacht, ist der Wunsch erwachsen zu sein. Seine Handlungen sind ein Abbild dessen, was er als erwachsenes Verhalten wahrnimmt. Es gibt ein altes Sprichwort: Der Knabe ist der Vater des Mannes. Sobald Thetis genug hat von seinen Abenteuern und erkennt, daß er niemals dieser Mann sein wird, und daß er für alle Zeit ein steriles Kind bleiben muß, wird seine Identität verblassen. Er wird sich aus der Multiplizität zurückziehen und mit der Gesamtpersönlichkeit verschmelzen. Wie es bei uns allen schlußendlich einmal der Fall sein wird, Sly-minx. Auch bei dir.
– Du meinst, er verliert die Hoffnung.
– Nein. Tod bedeutet das Ende der Hoffnung. Alles andere ist bloße Verzweiflung.
Die Kinder bekamen das Floß jetzt in den Griff. Sie paddelten. Thetis saß ganz vorn und gab die Befehle. Er war in seinem Element. Er drehte sich zu Syrinx um, lachte und winkte. Syrinx hob eine Hand und winkte ihrem Bruder hinterher.
– Adamisten verlieren die Hoffnung, sagte sie. – Der Kommandant der Dymasio hat die Hoffnung verloren. Das ist schließlich der Grund, aus dem er getan hat, was er getan hat.
– Adamisten sind unvollkommen. Wir wissen, daß wir weiter existieren, nachdem unsere Körper nicht mehr sind; auf eine gewisse Weise überdauert ein Teil von uns Hunderte von Millennien. Ich persönlich wage noch nicht einmal daran zu denken, das Multiplizitätssegment der Habitat-Persönlichkeit zu verlassen, jedenfalls nicht, solange ich auf dich und meine anderen Kinder und Enkelkinder aufpassen muß. Vielleicht suche ich in zehn oder fünfzehn Generationen die volle Integration in die Habitat-Persönlichkeit, wenn ich keine familiären Bindungen mehr verspüre. Dann ist es immer noch früh genug, meine Loyalität auf alle Edeniten von Romulus zu übertragen. Aber bis dahin vergeht noch eine sehr, sehr lange Zeit.
– Adamisten haben ihre Religion. Ich dachte immer, die Götter der Adamisten würden ihnen Hoffnung geben.
– Das tun sie auch, jedenfalls bei den sehr Frommen. Aber denk einmal an die Nachteile, mit denen ein gewöhnlicher Adamist zu kämpfen hat. Das geheimnisvolle Königreich, das sie Himmel nennen – sie werden es zu Lebzeiten niemals sehen, niemals begreifen. Es entzieht sich jeglichem Wissen. Schlußendlich ist es nur ein Glaube, und es ist für die armen Sünder schwer, daran festzuhalten. Unser Leben nach dem Tod ist im Gegensatz dazu greifbar. Es ist real. Für uns ist es keine Frage des Glaubens, es ist eine Tatsache. Wir haben Beweise.
– Es sei denn, wir erleiden das gleiche Schicksal wie Thetis.
– Selbst Thetis überlebt.
– Nur ein Bruchteil von ihm. Eine verstümmelte Existenz, ein Kind, das einen Fluß hinuntertreibt, der niemals enden wird.
– Geliebt, geschätzt und willkommen. Bis zum Ende der Ewigkeit.
Das Floß verschwand um eine Biegung, und eine Ansammlung von Weiden verbarg die Sicht. Hohe Stimmen hallten durch die Luft. Syrinx ließ die Hand wieder sinken. »Ich komme wieder, großer Bruder«, sagte sie zu dem leeren gurgelnden Fluß. »Immer und immer wieder, jedesmal, wenn ich im Habitat bin. Ich werde dafür sorgen, daß du dich auf meine Besuche freust, auf die Geschichten, die ich dir erzähle. Ich werde dir Hoffnung geben. Ich verspreche es dir.«
In ihrem Zimmer blickte sie auf die dunkle, undeutliche Landschaft weit über sich an der Decke. Die axiale Leuchtröhre war bis auf ein mondscheinhelles Licht gedämpft, und sie verschwand hinter den ersten schweren Regenwolken des Abends.
Syrinx verschloß ihr Bewußtsein vor den anderen Edeniten, vor den Voidhawks, die draußen vor dem Habitat kreisten, und vor der Habitat-Persönlichkeit. Allein die Oenone blieb bei ihr. Das geliebte Schiff, das sie verstand, weil sie beide eins waren.
Schließlich erwachte aus dem Durcheinander von Zweifel und Elend der schwache Wunsch, daß die Adamisten vielleicht doch recht hatten, und daß es tatsächlich so etwas wie einen Gott gab. Einen Gott und ein Leben nach dem Tod und eine Seele.
Dann wäre Thetis nicht verloren.
Jedenfalls nicht für immer.
Es war nur ein ganz dünner Lichtstreif aus Hoffnung am Horizont.
Die Gedanken der Oenone drangen in ihren Geist, tröstend und voller Verständnis.
Wenn es da draußen einen Gott gibt, und wenn die Seele meines Bruders noch heil ist, dann sorge
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