Armageddon 01 - Die unbekannte Macht
dich um ihn. Bitte. Er ist so schrecklich allein.
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7. Kapitel
Mehr als tausend Nebenflüsse speisten den unersättlichen Juliffe, ein verwinkeltes Netzwerk von Flüssen und Bächen, das den Regen aus einem Gebiet von mehr als einer halben Million Quadratkilometern abführte. Sie ergossen sich das ganze Jahr durch reißend in den Hauptstrom, und an keinem der zweihundertfünfundneunzig Tage des Lalonde-Jahrs herrschte so etwas wie Niedrigwasser. Sie führten gewaltige Mengen an Schlamm, verrottender Vegetation und ausgerissener Bäume mit sich. Die Strömungen und Wirbel des riesigen Stroms waren so stark, daß er auf den letzten fünfhundert Kilometern die Farbe und Konsistenz von hellem Milchkaffee besaß. Im Mündungsgebiet war der Juliffe zu einer Breite von mehr als siebzehn Kilometern angeschwollen, und der schiere Druck des Wassers, das sich auf einer Länge von zweitausend Kilometern aufstaute, war ehrfurchterregend. An der Mündung sah es aus, als würde sich ein Meer in ein anderes ergießen.
Auf dem letzten hundert Kilometer langen Abschnitt gab es kein richtiges Nordufer mehr. Marschland erstreckte sich bis zu hundertfünfzig Kilometer tief ins Hinterland. Man hatte es nach dem ersten tollkühnen Mann aus dem Vermessungsteam benannt, der sich ein paar Kilometer tief in die äußersten Ausläufer vorgewagt hatte: Hultain-Marsch. Die Hultain-Marsch hatte sich als ein unerschließbares Gebiet aus Schilf und Algen und scharfzähnigen eidechsenartigen Tieren verschiedener Größen herausgestellt. Keinem menschlichen Forscher war es je gelungen, das Gebiet zu durchqueren; die ökologischen Gutachter hatten sich schließlich mit Hultains lückenhaftem Bericht und den Aufnahmen der Satellitenüberwachung zufriedengegeben. Wenn der Wind aus Norden blies, trug er einen intensiven Gestank nach Verwesung in die Stadt Durringham. Für die Bewohner von Lalondes Hauptstadt hatte die Hultain-Marsch etwas Geheimnisvolles, Mythologisches: eine unerschöpfliche Quelle für makabre Kreaturen und andere schlimme Dinge.
Das Land auf der südlichen Seite des Juliffe jedoch erhob sich bis zwölf Meter über die vorbeischießenden braunen Fluten. In einiger Distanz davon breitete sich Durringham aus, relativ sicher auch vor den höchsten der Frühlingsfluten des Juliffe. Die Stadt lag zwischen Raumhafen und Fluß, und sie war der Schlüssel zur Kolonisation des gesamten Beckens.
Der Juliffe stellte für die Lalonde-Entwicklungsgesellschaft die größte nur vorstellbare natürliche Straße in das Innere von Amarisk dar. Mit seinen Nebenflüssen, die in jedes Tal im Zentrum der Landmasse reichten, bestand keine Notwendigkeit, teure Schneisen in den Dschungel zu hacken und Straßen zu bauen und zu unterhalten. Reiche Vorräte an Holz lieferten das Baumaterial für Bootsrümpfe, und Schiffahrt war die einfachste und billigste Form des Transports. Schiffsbau war bald der wichtigste Industriezweig der Hauptstadt geworden, und fast ein Viertel der Bevölkerung war direkt oder indirekt vom Erfolg der Werften abhängig.
Die Lalonde-Entwicklungsgesellschaft hatte eine ganze Reihe Schiffe unter Kontrakt genommen, die neu angekommene Kolonistengruppen den Fluß hinauf transportierten und auf dem Rückweg die überschüssigen Produkte bereits etablierter Farmen mitbrachten, die in der Stadt zum Verkauf angeboten wurden. Jeden Tag legten mehrere hundert Schiffe an oder brachen auf, um den Fluß hinaufzufahren. Der Hafen mit seinen Landungsstegen und Lagerhäusern und Fischmärkten und Bootswerften wuchs und wuchs, bis er sich über die gesamte Länge der Stadt zog. Er war zugleich der logistisch günstigste Platz für die Übergangslager der neuen Kolonisten.
Für Jay Hilton war das Übergangslager ein faszinierender Ort. Es war so anders als alles, was sie in ihrem bisherigen Leben kennengelernt hatte. Ein einfaches, achtzig Meter langes Schrägdach aus EasyStak-Paneelen, gestützt von einem Fachwerk aus Metallträgem. Es gab keine Wände – der Beamte der LEG meinte, es wäre sonst im Innern zu heiß geworden. Der Boden bestand aus Beton, darauf Reihe um Reihe harter Holzpritschen. Jay hatte die erste Nacht im Schlafsack verbracht, im Zentrum des Lagers, zusammen mit den anderen Kindern der Gruppe Sieben. Es hatte eine Ewigkeit gedauert, bis sie einschlafen konnte – ständig hatten sich Leute unterhalten, und der Fluß rauschte und gurgelte laut unten am Ufer. Jay war überzeugt, daß sie sich niemals an die Feuchtigkeit
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