Armageddon 01 - Die unbekannte Macht
Tropfen glitten von der glänzenden Beschichtung ab. Es gab eine Menge Abflußrohre, zusammen mit einer Unzahl von Regengullys, die ihren Inhalt in den Fluß entließen, und Jay mußte vorsichtig sein, wenn sie unter den Rohren hindurchkletterte, um sich nicht zu beschmutzen. Ein Stück voraus lag eins der kreisförmigen Hafenbecken, sechshundert Meter im Durchmesser, ebenfalls aus Polypmaterial gemacht. Es war ein Zufluchtsort für die größeren Schiffe, die hier in ruhigerem Wasser anlegen konnten. Die Hafenbecken zogen sich am ganzen Ufer entlang, in Abständen von vielleicht je einem Kilometer, und dahinter erstreckte sich ein Gewirr von Lagerhäusern und Sägewerken. Zwischen den einzelnen Häfen ragten lange Reihen hölzerner Landestege ins Wasser, die von den zahlreichen kleineren Schiffen und den Fischerbooten bevorzugt wurden.
Der Himmel färbte sich einmal mehr dunkel, doch diesmal lag es nicht an aufziehendem Regen. Die Sonne stand bereits tief am westlichen Horizont, und Jay fühlte sich todmüde. Der Tag auf Lalonde war schrecklich lang.
Sie duckte sich unter einem Landesteg hindurch und strich mit der Hand über die schwarzen Holzpfeiler. Mayope-Holz, sagte ihr eidetisches Gedächtnis, eines der härtesten Hölzer, die man in der gesamten Konföderation finden konnte. Der Baum besaß große, purpurne Blüten. Jay klopfte neugierig mit dem Knöchel gegen das Holz. Es fühlte sich wirklich hart an, fast wie ein Metall oder wie Stein.
Draußen auf dem Fluß fuhr ein großer Schaufelraddampfer vorbei. Er schob eine mächtige Bugwelle vor sich her, während er sich flußaufwärts gegen die Fluten stemmte. An den Geländern standen Kolonisten, und sie schienen alle zu Jay zu blicken. Das Mädchen grinste erfreut und winkte ihnen zu.
Gruppe Sieben würde am nächsten Tag aufbrechen. Das wirkliche Abenteuer. Jay starrte sehnsüchtig dem Dampfer hinterher, der sich unaufhaltsam weiter entfernte.
In diesem Augenblick sah sie das Ding, das sich an einem Stützpfeiler des nächsten Stegs verfangen hatte.
Ein schmutziggelber schlaffer Klumpen, vielleicht einen Meter lang. Unter Wasser war noch mehr davon, das erkannte Jay an der Art und Weise, wie er im Wasser schaukelte. Sie schrie begeistert auf und rannte los, und ihre Stiefel rissen Fontänen aus Wasser hoch. Es war ein Xeno-Fisch oder eine Amphibie oder was auch immer! Er hatte sich verfangen und wartete nur darauf, daß Jay ihn genauer in Augenschein nahm. Namen und Körperformen wirbelten durch ihren Verstand, als das didaktische Gedächtnis einsetzte und versuchte, das Bild aus ihren Augen mit einem eingeborenen Tier in Verbindung zu bringen.
Vielleicht ist es etwas Neues, dachte sie. Vielleicht werden sie es nach mir benennen! Ich werde berühmt sein!
Sie war noch fünf Meter entfernt und rannte immer noch so schnell sie konnte, als sie den Kopf sah. Es war ein Mensch. Ein Mensch im Wasser, ohne Kleider. Mit dem Gesicht nach unten! Der Schock brachte sie zum Stolpern, und sie verlor das Gleichgewicht. Sie schrie laut auf, als sie mit den Knien auf den harten, unnachgiebigen Polyp fiel. Heißer Schmerz durchzuckte ihren jungen Körper. Sie landete der Länge nach auf dem harten Ufer, die Füße halb im Wasser, und fühlte sich äußerlich wie betäubt. In ihrem Bein klaffte ein tiefer Riß. Übelkeit breitete sich vom Magen her aus. Blut quoll aus der Wunde. Jay biß sich auf die Lippen, als sie das Blut bemerkte, und kämpfte gegen die heiß aufsteigenden Tränen. Eine Welle hob den Leichnam im Wasser und warf ihn ein weiteres Mal gegen den Stützpfeiler. Durch den Tränenschleier hervor sah Jay, daß der Tote ein Mann war. Er war ganz aufgequollen. Sein Kopf drehte sich in ihre Richtung, und auf einer Wange erkannte Jay einen langen roten Striemen. Er hatte keine Augen, nur leere Höhlen, wo die Augen gewesen waren. Seine Haut wellte sich. Jay blinzelte die Tränen weg. Lange weiße Würmer mit Millionen Beinen fraßen sich durch das mürbe Fleisch. Eines der Tiere zwängte sich aus dem offenen Mund des Toten wie eine schlanke anämische Zunge, und die Spitze des Wurms tastete prüfend umher, als atmete er die frische Luft.
Jay warf den Kopf in den Nacken und fing laut an zu schreien.
Der Regen, der eine Stunde später am gleichen Abend kurz nach Sonnenuntergang vom Himmel stürzte, kam Quinn Dexter recht gelegen. Wenn der Himmel nicht wolkenverhangen war, vereinigten sich die drei Monde Lalondes, um die nächtliche Stadt mit einer hellen
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