Armageddon 01 - Die unbekannte Macht
ihren gestoßen hatten. Die irrsinnige Fahrt auf dem Motorrad im Zinnober des Mondlichts. Marie wünschte sich von Herzen, daß jede Nacht so sein würde, bis in alle Ewigkeit.
»Wo zur Hölle hast du dich rumgetrieben?«
Ihr Vater stand vor ihr. Sein Mund war zu einem fast unsichtbaren Strich zusammengepreßt. So sah er nur aus, wenn er wirklich stockwütend war – doch zum ersten Mal in ihrem Leben war es Marie egal.
»Aus«, sagte sie.
»Wo aus?«
»Ich habe mich amüsiert. Genau das, was ich deiner Meinung nach nicht tun soll.«
Er schlug ihr ins Gesicht, und das Geräusch hallte von der hohen Decke wider. »Sei nicht so verdammt unverschämt, Kind. Ich habe dir eine Frage gestellt. Was hast du die ganze Nacht gemacht?«
Marie funkelte ihren Vater an. Sie spürte, wie die Hitze in ihre brennende Wange stieg, doch sie weigerte sich, die schmerzende Stelle zu reiben. »Was kommt als nächstes, Daddy? Willst du mich mit deinem Gürtel verprügeln? Oder nimmst du die Fäuste?«
Gerald Skibbows Kiefer sank herab. Leute auf den umliegenden Pritschen drehten sich zu ihm um und sahen ihn aus verschlafenen Augen an.
»Weißt du eigentlich, wie spät es ist? Wo hast du dich herumgetrieben?« zischte er.
»Bist du sicher, daß du die Wahrheit hören möchtest, Daddy? Ganz sicher?«
»Du kleines widerliches Miststück! Deine Mutter hat sich die ganze Nacht lang Sorgen gemacht. Ist dir das völlig egal?«
Marie schürzte die Lippen. »Was könnte mir denn deiner Meinung nach auf dieser paradiesischen Welt zustoßen, in die du uns verschleppt hast?«
Einen Augenblick lang dachte sie, er würde erneut zuschlagen.
»Heute nacht hat es im Hafenviertel zwei Morde gegeben«, antwortete er.
»Tatsächlich? Das überrascht mich kein bißchen.«
»Geh jetzt schlafen«, sagte Gerald zwischen zusammengebissenen Zähnen hindurch. »Wir besprechen diese Angelegenheit morgen früh weiter.«
»Besprechen?« fragte sie kokett. »Du meinst, ich habe die gleiche Stimme wie du?«
»Verdammte Scheiße, halt endlich die Fresse, Skibbow«, rief jemand aus dem Dunkel. »Wir wollen hier eine Mütze Schlaf nehmen!«
Unter den ohnmächtigen Blicken ihres Vaters zog Marie ihre Stiefel aus und schlenderte betont gelassen zu ihrer Pritsche.
Quinn döste noch immer in seinem Schlafsack und kämpfte gegen die Folgen des starken Biers, das er am Vorabend in Donovan’s Kneipe getrunken hatte, als jemand seine Pritsche an der Seite hochhob und um neunzig Grad kippte. Quinn fuchtelte hilflos mit Armen und Beinen in seinem Schlafsack, während er zu Boden polterte, doch vergeblich. Er besaß keine Möglichkeit, seinen Sturz zu verhindern. Er knallte mit der Hüfte voran auf den harten Beton und prellte sich das Becken, dann schlug er mit dem Kiefer auf. Quinn schrie vor Überraschung und Schmerz.
»Los, raus aus den Federn, Zettdee!« brüllte eine Stimme.
Ein Mann stand über Quinn und grinste bösartig auf sein vermeintliches Opfer herab. Er war Anfang Vierzig, groß und kräftig gebaut, mit dichtem, schwarzem Haar und einem Vollbart. Die braune, ledrige Haut seines Gesichts und seiner nackten Arme waren wie eine Mondlandschaft von Pockennarben übersät. Dazwischen erstreckte sich ein rotes Geflecht aus geplatzten Kapillaren. Seine Kleidung bestand ganz aus Naturfasern: ein dickes, schwarz und rot kariertes Baumwollhemd mit abgerissenen Armen, grüne derbe Baumwollhosen, Schnürstiefel bis zu den Knien und ein Gürtel mit zahlreichen batteriebetriebenen Werkzeugen sowie einer gemein aussehenden neunzig Zentimeter langen Stahlmachete. Um den Hals trug er an einer dünnen Kette ein silbernes Kruzifix.
Er lachte in einer tiefen Baßstimme, als Quinn wegen der brennenden Schmerzen in der Hüfte laut stöhnte. Das war zuviel! Quinn packte den Verschlußring an der Oberseite des Schlafsacks. Er würde diesen Bastard bezahlen lassen! Der Verschluß öffnete sich. Seine Hände schossen hervor, und er strampelte mit den Beinen, um sich ganz aus dem Schlafsack zu befreien. Irgendwo am Rand seiner Wahrnehmung schrien die anderen Zettdees warnend auf und sprangen über die Pritschen. Mächtige speichelnasse Kiefer schlossen sich um Quinns rechte Hand, umschlossen sie vollständig, und scharfe Zähne durchbohrten die obersten Schichten seiner Haut und rieben gemein zwischen den Sehnen der Finger. Schock und Entsetzen ließen Quinn für eine Sekunde erstarren. Es war ein Hund, ein Riesenvieh, ein verdammter Höllenhund. Selbst ein Sayce hätte
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