Armageddon 04 - Der Neutronium-Alchimist
sie so viele Städte ansteuerten, wie nur irgend möglich, um weitere Kinder aufzunehmen. Annette Eklunds Leute, die das Kommando auf der Halbinsel übernommen hatten, betrieben das Kommunikationsnetz zwischen den größeren Städten, wenngleich die Datenbandbreite um ein Vielfaches geringer war als zuvor. Die Nachricht von Stephanies Unternehmen hatte sich wie ein Lauffeuer verbreitet. In manchen Städten warteten die Kinder bereits an der Straße, wenn die Busse eintrafen, manchmal sogar frisch gebadet und hübsch angezogen und mit Lunchpaketen von den Besessenen, die sich um sie gekümmert hatten. Einige Abschiedsszenen waren voller Tränen.
Nachdem die Kinder zu Abend gegessen und sich gewaschen hatten und in die Zelte verfrachtet worden waren, schnitten Cochrane und Franklin Quigley Äste von einem Baum und fachten ein richtiges Lagerfeuer an. Die Erwachsenen kamen herbei und setzten sich im Kreis; sie genossen das gelbe Flackern, das den unablässigen Schein der roten Wolke überdeckte.
»Ich glaube, wir sollten lieber nicht mehr in eine Stadt zurück, wenn wir mit den Kindern fertig sind«, begann McPhee. »Wir kommen prima miteinander aus. Vielleicht sollten wir uns eine Farm suchen. In den Städten gehen allmählich die Lebensmittel aus. Wir könnten Getreide und Gemüse anbauen und es verkaufen. Dann hätten wir etwas zu tun.«
»Jetzt ist er gerade mal eine Woche zurück, und schon hat er Langeweile!« grunzte Franklin Quigley.
»Lang-e-wei-le«, murmelte Cochrane und stieß zwei Rauchfahnen durch die Nase aus. Sie wanden sich durch die Luft und stießen nach McPhees Nase wie zwei Kobras.
Der riesige Schotte machte eine Handbewegung, und der Rauch verharrte, verwandelte sich in Teer und platschte zu Boden. »Ich hab’ keine Langeweile, aber wir müssen schließlich irgendwas tun. Es macht Sinn, ein wenig in die Zukunft zu schauen.«
»Möglicherweise hast du recht«, gab Stephanie zu. »Ich glaube nicht, daß ich in einer von den Städten leben möchte, durch die wir bisher gekommen sind.«
»Wie ich die Sache sehe«, sagte Moyo, »scheinen sich die Besessenen in zwei Gruppen aufzuspalten.«
»Benutz bitte nicht immer dieses Wort«, sagte Rana, die mit untergeschlagenen Beinen neben Tina Sudol saß. Mit ihren kurzgeschnittenen Haaren und dem weiten blauen Pullover wirkte sie streng, beinahe androgyn neben der unglaublich weiblichen Tina.
»Was für ein Wort?« fragte Moyo.
»Besessen. Ich finde es beleidigend und nachteilig.«
»Das hast du recht, Baby«, kicherte Cochrane. »Wir sind keine Besessenen, wir sind eigentlich viel eher dimensional Benachteiligte.«
»Nenn unsere interdimensionale Lage wie immer du willst«, schnappte sie zurück. »Das ändert nichts an der Tatsache, daß der Begriff Besessenheit abfällig ist. Der Militärapparat der Konföderation benutzt ihn, um uns zu verteufeln, damit sie ihre erhöhten Rüstungsausgaben rechtfertigen können.«
Stephanie drückte ihr Gesicht in Moyos Arm, um ihr Kichern zu dämpfen.
»Na komm schon, wir sind nicht gerade Heilige«, warf Franklin ein.
»Die Wahrnehmung der allgemeinen Moralvorstellungen geschieht ausschließlich im Rahmen der männlich dominierten Gesellschaft. Unsere neuen und einzigartigen Lebensumstände erfordern, daß wir unsere Moral überdenken. Es gibt ja wohl eindeutig nicht genügend lebende Körper für uns alle, deswegen sollte das Privileg sensorischer Wahrnehmung gerecht verteilt werden. Was nutzt es, wenn die Lebenden dagegen protestieren? Wir haben genauso ein Recht auf sensorische Wahrnehmung wie sie.«
Cochrane nahm den Joint aus dem Mund und starrte traurig darauf. »Mannomann«, sagte er, »ich wünschte, ich könnte deine Trips begreifen.«
»Ignorier ihn einfach, Darling«, sagte Tina Sudol zu Rana. »Er ist das perfekte Beispiel für männliche Brutalität.«
»Ich schätze, ein kleiner Fick kommt heute nacht wohl nicht in Frage, wie?«
Tina atmete theatralisch ein, während sie den unverbesserlichen Hippie anfunkelte. »Ich bin nur an richtigen Männern interessiert.«
McPhee grinste anzüglich, und Tina strich ihr glänzendes Haar mit einer sorgfältig manikürten Hand nach hinten aus der Stirn. »Ihr Männer seid allesamt Tiere, ohne Ausnahme, voller widerlicher Hormone. Kein Wunder, daß ich diesem fleischgewordenen Gefängnis entfliehen wollte, in dem ich war.«
»Die beiden Gruppen«, nahm Moyo den Faden wieder auf, »scheinen sich aufzuteilen in diejenigen, die seßhaft bleiben, wie
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