Arme Milliardäre!: Der große Bluff oder Wie die amerikanische Rechte aus der Krise Kapital schlägt
Amerikanischen Revolution.
Der Volkszorn, der sich hier äußerte, war allerdings ein anderer als jener, mit dem alles begonnen hatte. Anfang 2009 hatte die massive öffentliche Empörung gegen die Banker die Amerikaner aus ihren Sesseln und auf die Straßen getrieben. Gegen Jahresende waren die Fehlleistungen der »Bonus Boys« allerdings weitgehend vergessen. Innerhalb kürzester Zeit war die Wut der Öffentlichkeit von der Wall Street auf Washington übergesprungen. Es dauerte nicht lange, und der Zorn des Volkes richtete sich gegen den Staat, Steuern und Auflagen der Bundesregierung – mit anderen Worten, es war eine Bewegung entstanden, die genau jene Verhältnisse unterstützte, die es Wall Street erlaubt hatten, die Welt auszuplündern. Beinahe jeder Aspekt jener Kultur, die zum Zusammenbruch geführt hatte – von der Deregulierung bis zu den Romanen von Ayn Rand –, wurde nun enthusiastisch gefeiert. Mochte selbst der große alte Greenspan eine »Schwachstelle« in seinem System eingeräumt haben, außerhalb der Untersuchungsausschüsse schworen die Menschen, niemals vom wahren Glauben abzufallen.
Der Partei der Republikaner und ihrer staatskritischen Haltung brachte dieser Stimmungsumschwung einen erstaunlichen Auftrieb. Was ursprünglich wie ein Selbstmordmanöver ausgesehen hatte, erwies sich auf einmal als genau die richtige Strategie zur richtigen Zeit. Im Januar 2010 besetzten die Wähler im demokratisch geprägten Massachusetts mit Begeisterung den vakant gewordenen Senatorenposten des verstorbenen Ted Kennedy mit dem Republikaner Scott Brown, einem noch weitgehend unbeschriebenen Blatt. Eine eigentlich typisch demokratische Wählergruppe – die Arbeiterschaft – vollzog bei dieser Abstimmung den erstaunlichsten Wechsel von allen. Diese Bevölkerungsgruppe zeigte in Massachusetts ein so untypisches Abstimmungsverhalten, dass der Gewerkschaftsdachverband AFL-CIO von einer »Revolte der Arbeiterklasse« sprach. [11]
Und das war noch nicht alles. Einen Monat nach dem Erdrutschsieg der Republikaner in Massachusetts titelte die
Washington Post:
»Demokraten verlieren Einfluss in den Appalachen«. Die Reportage schilderte das Leben in einem gottverlassenen Kohlerevier in West Virginia, wo die Antwort einer verlorenen Generation auf die Krise offenbar darin bestand, sich der Grand Old Party in die Arme zu werfen. [12]
Die Kongresswahlen im November gerieten für die Republikaner zum Triumph. Das Repräsentantenhaus erlebte den größten Umschwung in der Mitte der Amtszeit eines Präsidenten seit 1938, dreiundsechzig Sitze wechselten von Blau nach Rot, gingen also von den Demokraten an die Republikaner. [13]
Nur zwei Jahre nach ihrem großen Sieg bei den Präsidentschaftswahlen hatte der Volkszorn die Seiten gewechselt.
Es war beinahe überall dasselbe. In einer Wahlanalyse kam das
National Journal
zu dem Schluss, dass die Arbeiterschaft landesweit mit einer erstaunlichen Rate von 2:1 republikanischen Kongressabgeordneten den Vorzug gegeben hatte. In einer Demonstration des »erbitterten Widerstands gegen Obama und seine Politik« hatte die Bevölkerungsgruppe, die in der großen Krise des Kapitalismus der Vergangenheit Franklin Roosevelt vier Mal ins Präsidentenamt gewählt hatte, sich nun für die Politik von Herbert Hoover entschieden. [14]
Gewiss eine erstaunliche Kehrtwende, allerdings weniger harmlos, als die Anhänger dieses Aufstands es gerne darstellten. Die meisten Beteiligten waren sicher wohlmeinende Bürger, die sich im Zeitgeist verfingen. Aber die dahinterstehende politische Operation, der sie sich verpflichteten, war insgesamt ein gigantischer Taschenspielertrick. Vor unseren Augen wurden die echten Gefahren gegen eingebildete ausgetauscht. Amerika wird dafür die Zeche noch zahlen müssen.
∗ Als ein Börsenmakler 2010 in einem Bericht über das Desaster einen anderen fragte, wer denn die Leute seien, die durch Hypotheken gedeckte Wertpapiere kauften, bekam er zur Antwort: »Die dummen Deutschen. Sie glauben an Ratingagenturen. Sie glauben an die Regeln.« Michael Lewis,
The Big Short: Wie eine Handvoll Trader die Welt verzockte
(München: Goldmann, 2011), S. 119.
∗ Die Prämisse der »Sozialismus«-Titelgeschichte von
Newsweek –
dass die Bailouts für die Banken ihrer »Verstaatlichung« gleichkamen, so wie man in den Vierzigerjahren die britischen Kohlebergwerke verstaatlicht hatte – war im Grunde eine Beleidigung der sozialistischen Idee. Vielleicht könnte man das,
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