Arme Milliardäre!: Der große Bluff oder Wie die amerikanische Rechte aus der Krise Kapital schlägt
was gerade geschah, »Sozialismus für die Reichen« nennen, setzte der Staat doch seine Mittel ein, um Manager, Aktienbesitzer und Vertragspartner großer Finanzinstitute auf Kosten von Millionen Bürgern zu retten, die nicht über ein solches Sicherheitsnetz verfügen.
Hier, was der überzeugte Sozialist Norman Thomas 1936 zu diesem Thema zu sagen hatte: »Es hat nichts mit Sozialismus zu tun, wenn Uncle Sam alle Banken übernimmt, die ihm in den Schoß fallen, sie wieder auf die Füße stellt und den Bankern zurückgibt, um dann zuzusehen, wie es ihnen noch einmal gelingt, sie in den Ruin zu führen.« Zitiert nach
Progressive
, 15. Februar 1936. (Und noch einmal in
Progressive
, April 2009, S. 39.)
KAPITEL 3
DASSELBE LIED IN NEUER TONART
Der Wiederaufstieg der Konservativen hat Elemente eines klassischen Taschenspielertricks oder eines Verwandlungskunststücks. Eine Angst wird durch eine andere ersetzt, ein bloß eingebildeter Notstand verdeckt einen echten, und auf der Bühne steht plötzlich ein neuer Bösewicht und erntet die Buhrufe, die ursprünglich einem anderen zugedacht waren. Die konservative Renaissance schreibt die Geschichte nach den politischen Erfordernissen des Augenblicks um, hüllt alles in die Nebelschwaden der Verwirrung, reklamiert für sich den Adel des hart arbeitenden Menschen und projiziert auf ihre Gegner die Arroganz der Aristokraten. Diese Neuausrichtung des Volkszorns hat sich nicht erst mit der Bewegung entwickelt, sie war von Anfang an vorhanden. Genau betrachtet bildete sie ihren eigentlichen Ausgangspunkt.
Der Börsenmakler als Durchschnittsbürger
Der Weckruf der Rebellion kam nicht etwa von einem Gewerkschaftsboss, sondern in Form einer im Fernsehen übertragenen Tirade, die der Wirtschaftsjournalist Rick Santelli am 19. Februar 2009 live auf dem Parkett der Chicagoer Börse lieferte. Er wetterte wohlgemerkt nicht gegen die Börsenmakler, die ihn umstanden, er sprach für sie. Es gibt kaum ein besseres Beispiel für den Geist der Umdeutung, der den Aufschwung der Konservativen prägt.
Rick Santelli hatte bereits in den vorangegangenen Monaten mehrfach das Bankenrettungsprogramm kritisiert. Als er an diesemFebruartag das Ohr der Nation hatte, wandte sich sein Unmut besonders jenem Teil des Troubled Asset Relief Program (TARP) zu, der dazu bestimmt war, Hauseigentümern, denen die Kredite »abgesoffen« waren, deren Immobilien also nicht mehr den Wert der aufgenommenen Hypotheken deckten, Erleichterungen zu verschaffen und sie vor der Zwangsversteigerung zu bewahren. Das war der einzige Teil von TARP, der unmittelbar individuellen Kreditnehmern und nicht Kreditinstituten zugutekam und dem Programm die öffentliche Zustimmung sichern sollte. Doch gerade dies zog den Zorn von Santelli auf sich, den der bloße Gedanke in Rage brachte. »Wir leben hier in Amerika!«, rief er.
Für das Amerika, das Santelli auf dem Börsenparkett beschwor, bedeutete ein solches Programm die »Belohnung von Fehlverhalten« und »eine Subvention der Kredite von Verlierern« mit öffentlichen Geldern, die in den Händen der Gewinner der Gesellschaft sicher für bessere und glänzendere Dinge ausgegeben würden. Santellis Empörung über diese »Verlierer« war nicht zu bremsen. Sie »trinken das Wasser«, während sich andere abplagen, »das Wasser heranzuschaffen«, polterte er. Mit theatralischer Geste fragte Santelli in die Runde seiner Freunde der Chicagoer Börsenmakler: »Wer will hier für den Hauskredit seines Nachbarn aufkommen, der sich ein zweites Badezimmer geleistet hat und nun die Raten nicht mehr zahlen kann?« [∗]
Die Börsenmakler brachen in Buhrufe aus: Nieder mit den Nachbarn! Zur Hölle mit dem zweiten Badezimmer, mit diesen Leuten, die arrogant unser Wasser wegsaufen, mit ihren Problemen.
Wenn die Regierung weiter auf so tyrannische Weise in diese Hypothekengeschichte eingreift, erklärte der Reporter, sind wir auf dem besten Weg zum kommunistischen Kuba. Doch bevor Big Brother uns an die staatliche Kandare nehmen konnte, war da noch Rick Santelli, Freund der Börsenmakler und Geißel der Dürstenden. Santelli forderte die Regierung Obama mit einer »Chicago Tea Party« in die Schranken, zu der er »alle Kapitalisten« einlud.
In den folgenden Tagen rätselten die Kommentatoren hauptsächlich, ob Santellis viel beachtete Tirade wirklich ein spontaner Ausbruch oder eine kalkulierte Aktion war. Am interessantesten daran fand ich jedoch die gigantische Verdrehung der
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