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Arme Milliardäre!: Der große Bluff oder Wie die amerikanische Rechte aus der Krise Kapital schlägt

Arme Milliardäre!: Der große Bluff oder Wie die amerikanische Rechte aus der Krise Kapital schlägt

Titel: Arme Milliardäre!: Der große Bluff oder Wie die amerikanische Rechte aus der Krise Kapital schlägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Frank
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Tatsachen. Das Land stand damals am ökonomischen Abgrund, unter anderem auch wegen der Bonusgier eben jener Börsenmakler, die nun Santelli applaudierten. Und ein weiterer Grund dafür, dass nun auch so viele von uns vor diesem Abgrund standen, war, dass Wirtschaftsjournalisten von CNBC wie Santelli uns in keiner Weise vor den wachsenden Problemen der Investmentbanken und der aufziehenden Hypothekenkrise gewarnt hatten.
    Aber dieser CNBC-Reporter und seine Freunde, die Börsenmakler, sahen sich nicht als die Schurken in diesem Spiel, sondern als jene, denen Unrecht geschehen war.
    Ein Punkt blieb zu klären. Wer waren diese unzufriedenen Börsenmakler, für die Rick Santelli so eloquent seine Stimme erhob? Nun, erzählte er einem Kollegen von CNBC, sie waren »ziemlich normal … ein Querschnitt Amerikas, die schweigende Mehrheit«.
    Dies war sicherlich die größte Verdrehung, die Rick Santelli an jenem denkwürdigen Februartag ablieferte. Börsenmakler mögen sich in vielerlei unterscheiden und die unterschiedlichsten Essgewohnheiten haben, aber per definitionem repräsentieren sie eine ganz bestimmte soziale Schicht: Es sind Menschen, die abstrakte Güter kaufen und verkaufen. Sie produzieren nichts. Sie bewegen nichts(außer Preisen). Sie stellen die Finanzindustrie in Reinkultur dar. Und wenn wir nach dem
Trader Monthly
urteilen, sind Börsenmakler nur dann ein »Querschnitt von Amerika«, wenn wir »Amerika« als einen Ort betrachten, an dem Rücksichtslosigkeit und Ellenbogenmentalität nationale Großtugenden und finanzielle Taschenspielertricks die edelste Art sind, sein Geld zu verdienen.
    Andere sahen jedoch in der Gleichsetzung der Börsenmakler mit Amerika, mit jenen, die berechtigterweise »Wir sind das Volk« rufen, das Klügste, was Rick Santelli an diesem Morgen über die Lippen kam. Durch die schiere Kraft der Behauptung hatte er das Stigma ausgelöscht, das der Finanzbranche seit dem Beginn des Abschwungs anhaftete. Endlich erkannten wir, so ein Organisator der Tea Party später, dass diese Börsenmakler »einfach arbeitende Menschen waren, die in Freiheit ihrer Tätigkeit nachgehen und die Früchte ihrer Arbeit auf faire Weise genießen wollten«. [1]
    Santelli selbst hatte sich schon vor diesem großen Augenblick im Februar mit dem kleinen Mann identifiziert. Laut einem Profil des Fernsehjournalisten, das die
Washington Post
im November 2008 brachte, sieht man Santelli »gewöhnlich in einer unteren Ecke des Fernsehbildschirms, gefilmt aus der Vogelperspektive, wie er seine Berichte vom Parkett der Chicagoer Börse nach oben in die Kamera ruft. Das gibt seinen Schimpfkanonaden den klassischen Touch des kleinen Mannes, der gegen das System aufmuckt.« [2]
    Und damit war die Umkehrung komplett. Für die Rebellen der Dreißigerjahre war die Chicagoer Börse eine teuflische Veranstaltung, der Sitz einer Finanzelite, die die arbeitende Bevölkerung verarmen ließ und die Konsumenten schröpfte, selbst aber nichts produzierte. Die populistischen Rebellen unserer Tage sahen in dem Wirtschaftsjournalisten, der seine Stimme im Namen der »arbeitenden Bevölkerung» just an jenem Ort erhob, an dem die Derivate gehandelt werden, selbst einen »kleinen Mann«, der sich in der Tradition der Dreißigerjahre gegen das »System« erhob.
    Santellis Explosion fing den Geist des Aufruhrs jener Tage ein. Der Zorn der Öffentlichkeit auf die Mächtigen war in den ersten Monatendes Jahres 2009 mächtig angeschwollen, und so wurde der Ausbruch des Reporters eine millionenfach auf YouTube abgerufene Sensation. Umgehend wurde Santelli mit Howard Beale verglichen, dem charismatischen Anchorman aus dem Film
Network
von 1976, der vor laufenden Kameras gegen das System wütete.
    Dass der Journalist dabei eigentlich für das System und gegen die Ansprüche der normalen Leute antrat, die ihm zum Opfer fielen, war ein Detail, das die meisten Amerikaner schlicht übersahen. Es war eben eine Zeit der großen Verwirrung, und wohin man schaute, wurden die frustrierten Äußerungen der Mächtigen als spontane Ausbrüche amerikanischer Durchschnittsbürger gedeutet, die ihre Angelegenheiten selbst in die Hände nahmen.
    Die Bedingungen für eine solche Verwirrung im großen Stil waren günstig. Wer zum Beispiel wusste denn schon, was die Zusammenbrüche der Banken ausgelöst hatte? Oder was ein Credit Default Swap überhaupt war? Und wer konnte erklären, wie solch ein Finanzinstrument die größte Wirtschaftsmacht der Welt hatte

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