Arme Milliardäre!: Der große Bluff oder Wie die amerikanische Rechte aus der Krise Kapital schlägt
lahmlegen können?
Inmitten der Verwirrung brandeten die Wogen der Empörung vor allem gegen das Teufelsprodukt TARP auf, das Programm zur Stabilisierung des Finanzsektors. Hier war eine Schurkerei, die die Leute verstehen konnten. TARP, erzählte man den Amerikanern, war teurer als der gesamte Vietnamkrieg, teurer als einst der Kauf von Louisana, teurer als alles, was man sich sonst noch vorstellen mochte. Und TARP war eindeutig schlecht, eine Art Schnellstraße, über die der Staat diensteifrig die Verluste der Finanzindustrie auf die Steuerzahler abwälzte.
Zu anderen Zeiten hätte TARP das Thema einer revitalisierten Linken werden können. Schließlich schlossen die Bailouts nahtlos an das Fehlverhalten an, das ihnen vorangegangen war, also die Deregulierung der Banken, die Bonuskultur, die Aushebelung der Aufsichtsfunktionen des Staates. Dahinter hatten wirtschaftsfreundliche Konservative gesteckt, und dieselben wirtschaftsfreundlichen Konservativen hatten nun aus denselben zwielichtigen Gründen TARPaufgesetzt: um ihren Freunden bei den Banken zu geben, was immer sie verlangten. Hätte die Linke schneller reagiert, so hätte sie TARP als das letzte Kapitel im großen Buch des Betrugs darstellen können, als die Episode, in der Wall Street den Staat in Geiselhaft nimmt, um den Steuerzahlern die Schulden der Banken aufzudrücken.
Aber es war die Rechte, der es gelang, die Führung in der Debatte zu übernehmen, sie benutzte die Rettungsaktionen, um den Schwarzen Peter von der Wall Street an den Staat weiterzureichen. Für sie war TARP das einzige relevante Element der Krisengeschichte, nicht die Derivate oder die Deregulierung, und dass es eine konservative, republikanische Führung war, die dieses Programm ursprünglich ins Leben gerufen hatte, kümmerte sie nicht. (Dass auch die Demokraten im Kongress schließlich dafür gestimmt hatten, war andererseits wiederum höchst bemerkenswert.)
Sie
waren die einzige rechtmäßige Opposition gegen TARP, beharrten die Konservativen, weil sie jeglichen Eingriff des Staates in den Markt ablehnten, und Bailouts seien ein Verstoß gegen die strikte Lehre des Laisser-faire – ihre Lehre eben. Mit Bailouts würde der Staat zwischen Gewinnern und Verlierern unterscheiden, mithin die Mechanismen des Wettbewerbs durch administrative Anordnungen ersetzen und das Haushaltsdefizit noch weiter vergrößern. So besetzte die Rechte also dieses Thema und blies TARP zum großen Skandal der Liberalen auf. [3]
»Lasst die Pleitiers pleitegehen«
Der erste Protestversammlung der Tea Party in Washington fand acht Tage nach der Sendung statt, in der Santelli aufgetreten war, und sie lieferte das Modell für die Art und Weise, in der die Rechte Kapital aus der Verwirrung der Öffentlichkeit schlug. Auf mich wirkte sie nicht wie eine spontane Graswurzelbewegung, sondern eher wie eine dieser inszenierten Protestveranstaltungen, die man in Washington alle Tage zu sehen bekommt und in denen eine Handvoll Aktivisten mit Protestplakaten für die Kameras posieren. Icherfuhr davon nicht etwa durch einen konspirativen, an einer Straßenecke zugesteckten Handzettel, sondern durch eine Online-Nachricht des
American Spectator
, einer etablierten Stütze des rechten Washington. Die Kundgebung sollte im Park gegenüber dem Weißen Haus stattfinden, traditionell ein Sammelpunkt rechter Protestler.
Das war nicht der Aufstand des kleinen Mannes. Das war keine Graswurzelbewegung, das war Kunstrasen der billigsten Sorte. Die ganze Veranstaltung wimmelte nur so von altbekannten konservativen Aktivisten. Die Bloggerin Michelle Malkin wechselte sich am Megafon mit Joseph Wurzelbacher ab, der in seiner Rolle als »Joe the Plumber«, »Joe der Klempner«, den amerikanischen Proletarier verkörperte und nun offenbar zeigen wollte, dass Amerikas Arbeiterklasse dem Glauben an den zynischen Idealismus der Milliardäre Amerikas verfallen war. Viele Leute erschienen im Anzug, und einige kamen, erkennbar an ihren Namensschildern, direkt vom CPAC, dem Jahrestreffen konservativer Aktionsgruppen und Politiker, das nur ein paar U-Bahnstationen weiter stattfand.
Die Demonstranten empörten sich über das ausufernde Staatsdefizit und die Bailouts und nicht zuletzt über das, was Santellis Ausbruch hervorgerufen hatte: die Möglichkeit, dass der Staat Bürgern bei Problemen mit ihren Hypotheken unter die Arme griff. Hatten sich die Menschen einst zusammengeschlossen, um ihren von Zwangsversteigerung bedrohten Nachbarn
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