Arme Milliardäre!: Der große Bluff oder Wie die amerikanische Rechte aus der Krise Kapital schlägt
Schuldigen: Sie hatten Wahlkampfspenden von AIG-Mitarbeitern angenommen, verkündete er, und nun folgten sie dem Drehbuch »vom letzten Mal«, womit er die Dreißigerjahre meinte, »indem sie die öffentliche Empörung anheizten« und Stimmung gegen die Manager von AIG machten. Sie täten nichts Geringeres, als »die Wut der Bürger zu kanalisieren« und »sie gegen die gesichtslosen Bonusempfänger von AIG« zu lenken. [12]
Das war natürlich insofern merkwürdig, als »künstlicher Volkszorn«, wie es der Moderator mit Entrüstung nannte, eigentlich Becks Markenzeichen war. Kanalisierung der öffentlichen Empörung war genau das, wozu ihn Fox News auf Sendung schickte. In diesem Sinn war ihm jedes noch so weit hergeholte Argument recht, wenn es galt, den Zorn des Landes auf die Demokraten zu lenken, die Partei, die an der Regierung war, »die Taktierer in Washington«. [13]
Das mag konfus erscheinen, aber den Führern der konservativen Renaissance erschien dies alles ganz natürlich. Sie verteufelten die Demokraten derart, dass es für sie kein Widerspruch war, sie gleichzeitig als Spielball der Banken und als deren Verfolger darzustellen. Die Demokraten waren einfach hinterhältig genug, beide Rollen gleichzeitig zu spielen. So ist es zu erklären, dass ein typischer Text der Bewegung,
Red State Uprising
aus dem Jahr 2010, zunächst über die »Bailouts von Obamas Wall-Street-Freunden« schimpft. Demnach wurde Wall Street vor der Pleite gerettet, weil man es dort verstand, die Politiker um den Finger zu wickeln. Nur zwei Seiten weiter jedoch wird uns der finstere Obama vorgeführt, der »über Leute,die Arbeitsplätze schaffen, und über Wall Street mit Worten herfällt, die er sich besser für al-Qaida aufsparen sollte« – auf einmal sollen wir Mitleid mit den armen Finanzleuten haben! [14]
Bis zum Herbst hatten sich Millionen in das Verwirrspiel hineinziehen lassen, das nun auch in Fernsehspots verbreitet wurde. Rand Paul zum Beispiel sendete bei seiner Kandidatur für den Senat einen Wahlspot, »The Machine« genannt, der ein monströses, roboterartiges Kapitol zeigt, das mit stählernen Tentakeln nach »Wall-Street-Banken [das Logo von AIG], Unternehmen [das Logo von GM] und dem Gesundheitswesen greift«, wie es im Kommentar dazu heißt. Hier ist AIG wieder das unschuldige
Opfer
eines alles verschlingenden, sozialistischen Staatsmolochs. Einige Sekunden später wirft der Wahlspot Pauls Konkurrent vor, »Wahlkampfspenden von genau den Leuten angenommen zu haben, die die Bailouts unterstützt haben« – und erwähnt auch eine Spendensammelveranstaltung, »veranstaltet von Lobbyisten der durch einen Bailout gestützten AIG« –, die letzteren Worte mit der Verachtung gesprochen, die stets das Kürzel AIG begleiten. Plötzlich ist das Unternehmen wieder
der Schurke
, der sich Politiker kauft, die es finanziell herauspauken. Hier wird vom Zuschauer erwartet, innerhalb von nur dreißig Sekunden von Mitleid auf Verachtung für AIG umzuschwenken.
In den trüben Gewässern dieser landesweiten Verwirrung fischte eine neue Generation von scharfsinnigen Politikern, die in diesem Zusammenbruch ihre Chance witterten. Sie spürten unseren Zorn, sie wussten, wohin sie ihn lenken mussten, und sie hatten auch eine ziemlich klare Vorstellung davon, wer von dem allem profitieren würde.
∗ Vergleichen wir Santellis Ängste damit, wie sich das Home Affordable Modification Program (HAMP) in den folgenden Jahren tatsächlich entwickelte.
HAMP stand stets unter aufmerksamer journalistischer Beobachtung. Insbesondere die Website von ProPublica verfolgte intensiv die Bemühungen des Programms und befragte auch Personen, zu deren Hilfe es ins Leben gerufen worden war – jene, die Santelli die »Verlierer« genannt hatte. ProPublica fand heraus, dass sehr viele, die mit ihren Zahlungen in Verzug geraten waren, nicht von dem Programm profitieren konnten, weil ihre Kreditgeber zu langsam reagierten, nicht kooperationsbereit waren oder ihre Anfragen einfach ignorierten. Die Kommunisten im Weißen Haus hatten offenbar vergessen, die Kreditgeber unter Aufsicht zu stellen und ihre Mitarbeit zu erzwingen. (Siehe auch den düsteren Abgesang der
New York Times
vom 30. März 2011 auf das Programm.)
Welch gute Nachricht! Wir leben immer noch in Rick Santellis Amerika: Das Gesetz war zwar in Kraft, wurde aber nicht durchgesetzt. Es war ein einziger Flop, die »Verlierer« verloren ihre Häuser, genau wie Gott und der Markt es für
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