Arme Milliardäre!: Der große Bluff oder Wie die amerikanische Rechte aus der Krise Kapital schlägt
seiner letzten Sendung im Juni 2011 war er auf seinem Fünf-Uhr-Stammplatz bei Fox News ein Star und erreichte bis dahin ungekannte Einschaltquoten. Während dieser Zeit war Beck auf dem Titelblatt von
Time
und
New York Times Magazine
zu sehen, und sein Leben wurde in zwei Biografien geschildert, eine geschrieben von Dana Milbank, Kolumnist der
Washington Post
. Millionen verehrten hin, Hunderttausende füllten die National Mall, um die Rede zu hören, die er dort in Erinnerung an Martin Luther Kings historischen Marsch auf Washington von 1963 hielt. Seine merkwürdigen Ideen wucherten im angstgeprägten Klima unserer Tage wie Unkraut. Auf Veranstaltungen der Tea Party wurden seine krausen historischen Interpretationen oft wortwörtlich übernommen, seine Angriffe auf bestimmte Personen fanden auf dem rechten Flügel ein vielstimmiges Echo. Zwei entscheidende Jahre lang war er der Mann der Stunde und gab mit seinen sonderbaren Ansichten den Ton an.
Der Schlüssel zum Verständnis von Glenn Beck ist für mich seine Bewunderung für Orson Welles, nach dessen
Mercury Theatre Group
er auch seine Produktionsfirma
Mercury Radio Arts
benannte. Dass Orson Welles 1937 bei ihrer Gründung von der kommunistischen Zeitung
Daily Worker
gefeiert worden war, stört Beck, seinen derzeit vielleicht größten Fan, nicht sonderlich, holt sich Beck seine Inspiration doch weniger aus der linken politischen Gesinnung seines Helden als aus »Krieg der Welten«, dem berühmten Hörspiel aus dem Jahr 1938, der Schilderung einer Invasion vom Mars. [1] Die Massenhysterie, die Welles damals unbeabsichtigt auslöste, schien Becks erklärte Absicht. [2]
Abend für Abend versetzte der Moderator seine Zuschauer zu Hause vor ihren Apparaten durch Schauergeschichten über den bevorstehenden Untergang in Angst und Schrecken: Machtgier, die die Verfassung zur Makulatur werden ließ, eine Inflation, die das Ende der Zivilisation bedeutete, linke Revolutionäre auf den Straßen. Und all diese Endzeit-Szenarien, schwor er, ereigneten sich wirklich, die Marsianer waren tatsächlich unterwegs, das Ende der Welt unausweichlich – oder beinahe.
Der wirtschaftliche Kollaps bildete das ideale Umfeld für seine Sendung. Jeden Nachmittag um fünf Uhr wartete Beck mit einer neuen Folge seiner Serie über den Untergang der Nation auf, manchmal auf Fakten gegründet, manchmal pure Fantasie, aber immer am Puls der Angst. Und die größte Angst in seinem Schreckensszenario war, dass sich die Linke auf den Marsch gemacht hatte, wie man in den Dreißigern sagte. Doch nicht in offenen Kolonnen, bewahre. Nein: der Vormarsch der Linken fand nach Beck klammheimlich statt, dem ungeübten Auge nahezu unsichtbar. Weshalb Beck uns auch so dringend darüber informieren musste, dass es in der Regierung vor Umstürzlern nur so wimmelte, dass der Präsident eine private Armee aufbaute, und dass die liberalen Demokraten sich verschworen hatten, die Wirtschaft zu ruinieren, damit ihnen die verunsicherte Bevölkerung in die Arme lief – das Drehbuch der schweren Zeiten als linke Untergangsvision. Eine der absurdesten Ideen des Moderators – er wiederholte sie so oft, dass sie bald zum Glaubensrepertoire der neuen Rechten gehörte – war, dass viele Probleme des Landes, von der Hypothekenkrise zu den Bailouts bis zur Gesundheitsreform, einem Plan folgten, den die Linken bereits 1966 in der Zeitschrift
Nation
veröffentlicht hatten. [3]
»Die meisten Menschen fürchten sich vor Rezessionen und Depressionen«, erläuterte der TV-Moderator im März 2010. »Aber es gibt auch solche, die sie nicht fürchten. Diese Leute suchen darin ihren Vorteil. Sie wittern ihre große Chance. Eine Gelegenheit, die Macht an sich zu reißen und die Dinge von Grund auf zu ändern. [∗] Sie denken nicht etwa: »Um Himmels willen, jetzt geht es unsaber schlecht!‹, nein, sie denken: ›Nun hat unsere Stunde geschlagen!‹«
Wenn sich das Szenario der schlechten Zeiten entfaltete, dann nicht als unvermeidliche Reaktion der Öffentlichkeit auf die Täuschungsmanöver von Wall Street, so schien Glenn Beck zu glauben, sondern weil die Linken es von langer Hand geplant hatten. Zuerst lösten sie die Finanzkrise aus, schimpfte Beck, dann rissen sie in ihrem Schatten die Macht an sich, und nun preschten sie mit einem sozialistischen Programm vor, das alles noch schlimmer machen und die Nachfrage nach ihrer Art von Politik verstärken würde.
Wirtschaftskrisen den Liberalen anzuhängen – womit von
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