Arme Milliardäre!: Der große Bluff oder Wie die amerikanische Rechte aus der Krise Kapital schlägt
beizustehen, so wollte der prototypische Populist nun seinen schnöseligen Nachbar aus dem zu großen Haus vertrieben sehen, das sich dieser Kerl überhaupt nie hätte kaufen dürfen.
Die Symbole, Kostüme und die Verwirrung, die die Nation bald nur zu gut kennenlernen würde, waren bereits auf dieser ersten Kundgebung zu sehen: die Schlangenflagge, die Dreispitzhüte, die Ehrfurcht vor der Verfassung, auch die vielen Rechtschreibfehler. Und natürlich die kleingeistige Rachsucht, die sich nun schon seit Jahren als mutiger Widerspruch gegen die autoritäre Obrigkeit maskierte. Protestschilder der Tea Party zu fotografieren wurde baldzum Volkssport. Bei dieser ersten Gelegenheit hielt eine Frau mir stolz eine handgemachte Erklärung vor die Kamera, deren wirrer Protest folgendermaßen lautete:
Kann niemand im Kapitol lesen?
Schaut mal in die Vafassung
Amerikaner haben kein Recht auf:
Haus
Auto
Bildunk
Amerikaner haben ein Recht
auf das Strehben nach Glück
nicht Glück geschenkt zu kriegen! [∗]
Man diskutierte über den Konflikt zwischen »Freiheit und Tyrannei«, als ob die eigentliche Gefahr, die den Amerikanern drohte, nicht der wirtschaftliche Zusammenbruch, sondern ein Angriff auf ihre persönliche Freiheit sei. Und dann gab es diesen Slogan, einen Aufschrei existenzieller Ängste, die aus den bitteren Siebzigern herüberklangen – oder eher eine wirre Hommage an Rick Santelli –, als die Sprecher einer nach dem anderen ein berühmtes Zitat aus dem Film
Network
wiederholten: »Ihr könnt mich alle am Arsch lecken! Ich lass mir das nicht mehr länger gefallen!« ∗[∗]
»Nicht mehr länger«? Barack Obama war zu diesem Zeitpunkt kaum mehr als einen Monat im Weißen Haus, und schon litt manQualen unter seiner Regierung. Und was wollte man sich »nicht mehr länger gefallen lassen«? Jahrzehntelang hatten Politiker den konservativen Wirtschaftsexperten jeden Wunsch von den Lippen abgelesen. Diese Gruppe war vom politischen System hervorragend bedient worden, sie hatte genau die deregulierte Welt bekommen, nach der nun gerufen wurde.
Aber »Ihr könnt mich alle am Arsch lecken!«? Ja, das klang echt. Dieses Gefühl habe ich auch manchmal. Und für alle, die sich über die Finanzkrise und die Bailouts aufregten, hatte diese erste Generation der Tea-Party-Anhänger eine simple Lösung parat: »Lasst die Pleitiers pleitegehen.« Diesen Slogan sah ich auf einem Protestplakat, und er schallte mir seitdem hundertfach entgegen. [4]
»Lasst die Pleitiers pleitegehen« – ein Schlüsselsatz des erstaunlichen Erfolgs, den die Rechte dann bald errang. Das war eine Antwort auf die Empörung über die Bailouts, und sie war weder von Winkeladvokaten formuliert noch von ungeliebten Gesetzen begleitet wie TARP, für das die Demokraten im Repräsentantenhaus nur mit zugehaltener Nase gestimmt hatten. »Lasst die Pleitiers pleitegehen«: Mit diesem Slogan stellt sich die zu neuen Lebensgeistern erwachte Rechte als Feind des Big Business dar, der den Kollaps der Megabanken begrüßt. Die Anhänger der Tea Party mögen in ihren Kostümen manchmal etwas lächerlich gewirkt haben, ihr zentrales Anliegen war es keineswegs.
Das große Verwirrspiel
Um diesen Bluff in die Tat umzusetzen, mussten die Konservativen eine gewaltige geistige Hürde überwinden. Die Leute, die sich die verhassten Bailouts ausgedacht hatten – und die Banken, die von ihnen profitierten –, hatten im konservativen Team gespielt. Zwar war es kein Problem, den Demokraten Barack Obama, der die Bailout-Politik der Regierung Bush fortsetzte, als freiheitsfeindlichen Diktator zu charakterisieren. Aber was machte man aus der Tatsache, dass jene, die das Land in diesen Zustand der Tyrannei geführt hatten, noch ein paar Jahre zuvor selbst Paladine der freien Marktwirtschaft gewesen waren?
Die neue Rechte konnte die offensichtlichen Antworten auf diese Frage nicht akzeptieren: dass die freie Marktwirtschaft im Grunde ein Mythos war, dass für Banker, Politiker und Manager der Ruf nach der freien Marktwirtschaft immer nur eine verbrämte Art gewesen war, »Her damit!« zu rufen, der durch direktere Methoden wie zum Beispiel die Forderung nach Bailouts ersetzt wurde, sobald sich die Situation änderte. [9]
Den Konservativen der Jahre 2008 und 2009 stand damit nur ein Weg offen: sich zu den wahren Gläubigen zu erklären und die früheren Generationen der Konservativen als Häretiker, die von der Orthodoxie des freien Marktes abgefallen waren, zu
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