Armeen Der Nacht
Abfälligkeit, deren er in seinem Ärger und seiner Frustration fähig war, aus der Hand des Höflings. »Richtet Shupansea aus, daß ich in den Audienzsaal kommen werde, sobald dies vorbei ist — nicht eher«, sagte er in bestem Rankene, nicht in dem Kauderwelsch, das sich zwischen den Kulturen zur Verständigung eingebürgert hatte.
Ein Blitz spiegelte sich auf der Glatze des Höflings, der losrannte, um seiner Herrin Bescheid zu geben. Molin verschwand hinter einem schmutzigen Wandteppich in dem Labyrinth schmaler Gänge, das die Ilsiger Erbauer sich für den Palast ausgedacht hatten und in dem die Beysiber sich immer noch nicht zurechtfanden. Diese irreführenden Gänge waren knapp mannshoch und von der Breite eines Bewaffneten. Es roch nicht gerade angenehm in ihnen, aber sie hielten, zum Ärger der fischäugigen Eroberer, die Überreste der rankanischen Präsenz in Freistatt zusammen.
Molin kam in einem Alkoven heraus, wo das Toben des Gewitters verhalten klang, verglichen mit dem, was aus einem nahen Gemach zu hören war. Eine unnatürliche Helligkeit füllte den Korridor vor ihm. Seine Haut prickelte, als er aus dem scharf abgegrenzten Schatten ins Licht trat. Mehr als dreißig Jahre Gewohnheit rieten ihm, auf die Knie zu fallen und Vashanka um Erlösung anzuflehen — doch wenn Vashanka ihn hätte hören können, wäre ein Gebet unnötig. Er sagte sich, daß es nicht schlimmer war als an Deck eines Segelschiffs, und betrat die Kinderstube.
Der blonde, blauäugige Dämon, dem er auf Anraten einer S'danzoseherin den Namen Gyskouras gegeben hatte, war der Ausgangspunkt des Leuchtens. Er brüllte, während er sein rotglühendes Spielzeugschwert schwang, doch seine Worte gingen in dem Licht unter. Der andere kleine Junge, das sanfte Kind jener S'danzoseherin, hatte beide Hände um Gyskouras' Bein und versuchte, ihn von dem reglosen Körper wegzuziehen, auf den er einschlug. Doch Arton war seinem Pflegebruder nicht gewachsen, solange der Gotteszorn ihn beherrschte.
Molin zwang sich, tiefer in den glühenden Lichtkreis zu treten, bis er das Kind hochheben konnte.
»Gyskouras!« brüllte er unzählige Male.
Der Junge wehrte sich mit der Entschlossenheit eines Straßenbengels: Er biß, trat mit den Füßen und hieb mit dem Holzschwert um sich, bis Molins nasse Kleidung zu dampfen begann. Doch der Hohepriester ließ sich nicht beirren, er packte zunächst die Beine, dann die Arme des Kindes.
»Gyskouras«, sagte er etwas sanfter, als das Leuchten flackerte und das Schwert der Hand des Kindes entglitt.
»'Kouras?« rief das andere Kind und klammerte sich nun an beide.
Noch einmal flackerte das Licht auf, dann erlosch es. Gyskouras war nur noch ein verstörtes, von Schluchzen geschütteltes Kind. Molin strich dem Jungen übers Haar, tätschelte ihn zwischen den Schultern und blickte auf den Boden, wo die Leiche eines seiner Priester lag. Mit einer Geste und einem Kopfnicken befahl er den anderen Priestern zu tun, was getan werden mußte. Als er und die Kinder allein waren, setzte er sich auf einen niedrigen Hocker und stellte das Kind vor sich.
»Was ist geschehen, Gyskouras?«
»Er hat Haferbrei gebracht«, antwortete der Junge zwischen Schluchzen und Nasehochziehen. »Arton sagte, er hätte Schokolade, aber er hat mir Haferbrei gegeben.«
»Du wächst sehr schnell, Gyskouras. Wenn du nicht ißt, fühlst du dich nicht gut.« Seit sie Arton vor vier Monaten hierhergebracht hatten, (1) waren beide Kinder um eine Männerhand von Handgelenk bis Fingerspitzen gewachsen. Wachstumsschmerzen waren zum Alptraum für alle Beteiligten geworden. »Wenn du deinen Haferbrei gegessen hättest, würde dir Aldwist bestimmt die Schokolade gegeben haben.«
»Ich wünschte ihn tot«, sagte Gyskouras ruhig, doch kaum waren die Worte über seine Lippen, warf er sich an Molin. »Ich habe es nicht so gemeint! Ich habe es wirklich nicht so gemeint! Ich habe ihm gesagt, er soll aufstehen, aber er tat es nicht! Er ist einfach nicht aufgestanden.«
Nur Molins Erfahrung mit den Kindern ermöglichte es ihm, das Gestammel zu verstehen — das und die Tatsache, daß er insgeheim, sogleich als das Unwetter ausbrach, gewußt hatte, was passiert war.
»Du hast es nicht gewußt«, sagte er leise, mehr zu sich als zu dem Kind.
Gyskouras schlief ein, kaum daß sein Schluchzen verstummte. Das Toben des Sturmgottes erschöpfte den kleinen Körper des Missetäters. Molin trug nur ein völlig gewöhnliches Kind zu dem Bettchen, wo es
Weitere Kostenlose Bücher