Arno-Linder 1: Papierkrieg
mittlerweile schon sehr verblassten blauen Auge waren keine weiteren Anzeichen für Gewalt hinzugekommen, zumindest keine, die ich sehen konnte.
»Und warum stört dich das plötzlich? Ist ja nicht das erste Mal, dass er dich geschlagen hat.«
»Eh schon, früher hat er mir eine gschmiert, wenn er fett war oder wenn er mich mit einem anderen erwischt hat oder so. Mit der flachen Hand.«
Sie holte Luft und zündete sich eine neue Marlboro an.
»Aber jetzt, da macht er’s anders, und das will ich nicht. Ich geh auch nicht mehr zu ihm zrück.«
»Ich weiß jetzt nicht, wie ich dir da helfen soll. Du solltest zur Polizei gehen, am besten gleich, solange die Gewaltspuren noch gut sichtbar sind. Sind sie doch noch, oder?«
»Eh, sicher.« Sie legte die Zigarette in den Aschenbecher und hob ihr T-Shirt. Dort, wo die enge Hose auf ihren Hüften saß, waren dunkle Flecke, zwei an der Zahl.
»Das macht er mit seine Tschik. Ich hab noch mehr davon.«
»Dann solltest du bei der Polizei Anzeige erstatten. Ums Eck ist eine Wache, vielleicht 50 Meter entfernt, du könntest gleich gehen.«
»Ich geh net zur Kiberei.«
Sie klang trotzig. Allzu lange konnte es nicht her sein, dass sie in demselben Tonfall noch verweigert haben mochte, Spinat zu essen. Andererseits fiel es schwer, so ein biederes Familienidyll für das Mädchen zu imaginieren.
»Warum, da passiert dir doch nichts. Oder schämst du dich?«
»Na, aber ich geh net hin.«
»Na, da kann ich dir auch nicht weiterhelfen. Warum bist du eigentlich zu mir gekommen und nicht zu jemand anderem gegangen?« Als ich den Satz ausgesprochen hatte, war mir bereits klar, dass es ein Fehler gewesen war.
»Weil du mir doch die Karte gegeben hast.«
Ich nahm einen Schluck Tee, das beruhigt ungemein. »Du musst doch noch andere Leute kennen, zu denen du gehen hättest können. Warum ausgerechnet zu mir?«
»Eh kenn ich andere auch, aber die kennen alle den Berti, der wüsst, wo er mich suchen müsst. Warum interessiert dich des so?«
»Weil mir momentan jede Menge seltsamer Dinge passieren. Da wird man mit der Zeit ein bisschen misstrauisch. Was willst du von mir, was soll ich für dich tun? Wenn du nicht zur Polizei gehen willst.«
»Ich werd schon was Eigenes finden, aber ein paar Tage, könnt ich nicht bei dir bleiben?« Sie sah mich bittend an, von unten herauf, mit großen Augen. Sogar Dschingis Khan wäre gerührt gewesen.
»So, und jetzt bau ich dir einen schönen, der wird dich wieder auf die Füße bringen.«
Sie griff flink nach den Utensilien und ging ans Werk, während ich mir versuchte klarzumachen, dass mich ein Joint in meinem Zustand nicht auf die Füße, sondern ins Grab bringen würde. Es war harte Arbeit, mich selbst zu überzeugen, als mein Handy ging. Ich schaute auf das Display. Es war Meyerhöffers Nummer. Ich nahm ab. Bevor ich noch losschimpfen konnte, dass ich vorhin klipp und klar alle weiteren Anrufe untersagt hatte, merkte ich, dass eine andere Person in der Leitung war. Eine heisere Altherrenstimme, die von Jahrzehnten der Benutzung glattgeschliffen worden war, sprach zu mir.
»Herr Linder, es tut mir leid, dass ich Sie störe. Aber ich denke, es wäre gut für Sie, wenn wir beide uns treffen würden, um eine gepflegte Unterhaltung zu führen.«
Ich stand auf und ging ein paar Schritte durch den Raum in die Küche. Meine Trashqueen, deren Namen ich gar nicht kannte, musste nicht alles mithören.
»Wenn Sie mir zuerst verraten würden, wer Sie sind? Dann sehen wir weiter.« Ein heiseres Kichern drang leise an mein Ohr.
»Sie sind aber scharf!« Es klang reichlich spöttisch in meinen Ohren. »Geben Sie mal einen Tipp ab, wer ich denn sein könnte.«
»Unrath, Partner von Meyerhöffer. Genug geraten. Um was geht’s?«
»Kommen Sie zu mir in die Kanzlei, dort sind wir ungestört und können reden.«
So wie ich mich fühlte, war das Letzte, was ich wollte, abends durchs kaltnasse Wien zu kutschieren und das Mädchen allein in meiner Wohnung zu lassen. Aber da war nichts zu machen. »Gut. Ich klingele in einer halben Stunde.«
Nachdem ich aufgelegt hatte, ging ich zu meiner neuen Mitbewohnerin. Die hatte inzwischen die unangenehme Arbeit hinter sich gebracht und widmete sich den Freuden ihres Schaffens.
»Dämpf aus und komm. Ich muss noch wen treffen, du kannst dich solang in ein Café setzen.«
»Ich geh nimma raus. Draußen is es oasch.«
Ich überlegte kurz. Meine letzten mobilen Besitztümer waren beim Einbruch draufgegangen,
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