Arno-Linder 1: Papierkrieg
viel klauen konnte sie nicht mehr.
»Gut, bleib da, aber bleib alleine. Ich will nicht, dass du irgendwen einlädst.«
»Eh kloa. Bin ganz brav. Aber hast net a paar Euro, dass ich was essen kann?«
Ich kramte ein paar Scheine raus, viel war nicht mehr übrig vom Airbookgeld, legte sie auf den Tisch und wies auf ein paar Menükarten von Lieferfirmen. Ich zog mich um, wickelte mir einen Schal um den Hals und machte mich auf den Weg.
IX
Draußen war es schlimm. Ich fror, mir war schwindlig und ich hatte einen bitteren Geschmack auf der Zunge. Das abendliche Wien erschien mir unreal. Die hellen Laternen verschwammen mir ein wenig vor dem dunklen Hintergrund. Die überheizte U-Bahn mit den geschäftigen Passagieren kam mir vor wie ein unvertrautes Spiel, dessen Regeln und Ziele man nicht kennt. Ich fragte mich, ob ich für die anderen auch so fremd wirkte wie für mich selbst. Als ich ausstieg und die Herrengasse hinunter zum Graben ging, Richtung Stallburggasse, fühlten sich meine Füße an, als ob ich durch Watte ging. Später, vor der Klingeltafel der Nummer 9, musste ich kurz innehalten, um mich zu sammeln. Die Knöpfe verschwammen vor meinen Augen. Als ich mit dem Zeigefinger der rechten Hand den Klingelknopf der Kanzlei drückte, durchfuhr mich ein Schauer. Der Knopf war eisig kalt. Es dauerte nicht lange, dann summte der Türöffner und ich trat ein. Der Wachmann, ich wusste nicht mehr, ob es derselbe war wie das letzte Mal, las in irgendeinem Abendblatt und ignorierte mich nicht einmal. Ich ging zum Lift und fuhr hinauf in den dritten Stock. Die Tür zur Kanzlei war angelehnt. Ich betrat den Raum und ließ die Tür geräuschvoll ins Schloss fallen. Dann wartete ich ab, was passieren würde.
Auf dem Weg in die Kanzlei hatte ich fieberhaft, aber unzusammenhängend versucht, den Ursachen und Motiven dieses Gesprächs auf den Grund zu gehen. Meine Anstrengungen hatten nicht zu allzu viel geführt, denn sie waren immer wieder durch Hustenattacken und kleine Bewusstseinsausfälle unterbrochen worden.
Entweder Meyerhöffer hatte den Papyrus, brauchte mich nicht mehr und das war das Ende für mich, oder Meyerhöffer hatte den Papyrus nicht, brauchte mich aber trotzdem nicht mehr und das war ebenfalls das Ende für mich. Es gab eine weitere Alternative: Der Anrufer war wirklich Unrath und er spielte sein eigenes Spiel, das gegen Meyerhöffer gerichtet war. Auf diesen Ausgang hatte ich gesetzt. Es gab noch ein paar andere, aber die waren alle so unvorteilhaft wie die ersten beiden.
Ich wartete keine zehn Sekunden im Dunkel der Kanzlei, als ich hinten eine Tür gehen hörte, mitsamt dem charakteristischen Knacken von guten Herrenschuhen auf bestem Parkett. Die Tür, die vom Empfangsraum nach hinten zu den Wartesesseln und den beiden Büros führte, öffnete sich. Das brachte ein wenig Licht in die Angelegenheit.
Zum Vorschein kam ein kleiner Mann mit glänzender Glatze. Seine Miene konnte ich im Gegenlicht nicht ausmachen. Aber seine einladende Handbewegung war eindeutig. Ich ging die paar Schritte auf ihn zu. Wir schüttelten uns die Hände und nach ein paar Floskeln folgte ich ihm ins Büro.
Der Raum war genauso eingerichtet wie der von Meyerhöffer auf der anderen Seite. Mit dem einzigen Unterschied, dass in Meyerhöffers Zimmer alles penibelster Ordentlichkeit Untertan war, während hier anheimelndes Chaos vorherrschte. Zeitungen lagen herum, Korrespondenz und aufgeschlagene Akten waren über das ganze Zimmer verteilt. Unrath bot mir einen Platz an und ich setzte mich. Bis jetzt hatte nur eine kleine Stehlampe auf dem Tisch für Beleuchtung gesorgt, das änderte sich, als Unrath einen Schalter betätigte. Alles wurde hell und die Augen schmerzten für ein paar Augenblicke. Unrath hatte ein bewegliches, ausdrucksvolles Gesicht, das mit den vollen Lippen und einer kleinen Nase mit dünnem Rücken fast ein wenig wie das eines nervösen Habsburgers wirkte.
»Wollen Sie nicht ablegen?«
»Nein danke, ich fühle mich nicht ganz wohl. Bisschen fiebrig.« Die Worte lösten einen Hustenanfall aus.
»Sie bellen ja wie Cerberus! Wenn ich das gewusst hätte …«
Wie in Wien üblich, ließ er den Ausgang des Satzes in der Luft hängen. Meist werden diese Worte mit einem outrierten Pathos gesprochen. Dann sind sie gelogen und bösartig gemeint. Bei Unrath klangen sie echt.
»Schon in Ordnung. Wenn ich nicht gewollt hätte, wäre ich nicht gekommen.«
»Bei Licht betrachtet muss ich sagen, wenn ich mir die
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