"Arschtritt" - Senzel, H: "Arschtritt"
Roman. Ein Krimi über eine geheimnisvollen Mordserie in einem öffentlich-rechtlichen Sender und zugleich Schlüsselroman über den ganzen Irrsinn einer solchen Anstalt. Man erkennt die echten Vorbilder im NDR in meinem Buch sehr gut, sie werden mit all ihren typischen Marotten und Redewendungen der Lächerlichkeit preisgegeben. Die meisten werden grausam ermordet – einer fällt dem Suff und dem Wahnsinn anheim. Mindestens drei von ihnen waren damals disziplinarische Vorgesetzte von mir – und drei waren disziplinarische Vorgesetzte von meinen Chefs.
Ich möchte spontan auf die Knie fallen vor Dankbarkeit, dass dieser Roman nie veröffentlicht wurde. Beim Ausmisten meines Arbeitszimmers habe ich das Manuskript entdeckt. Mich zwischen Bergen von Altpapier
auf dem Fußboden sitzend darin verloren. Ein Trip in die Vergangenheit, und der fühlt sich nicht gut an. Wie ein Loch im Zahn, und du kannst nicht aufhören, immer wieder mit der Zunge daran herumzuspielen – obwohl es schmerzt. Ich habe akzeptiert, dass mein Verstand damals zeitweise außer Kontrolle geraten war. Aber dass ich das hier für einen großen Wurf hielt – das irritiert mich maßlos. Dass ich mich verrannte, dass meine Gefühle mit mir durchgingen – meinetwegen. Aber dass mich mein professionelles Urteilsvermögen offenbar so ganz und gar verlassen hatte – das erschreckt mich. Die Geschichte ist absurd und die Handlung wirr – und in beinah jeder Zeile spüre ich die Wut und den Frust.
Ich bin peinlich berührt, wenn ich daran denke, wie vielen Menschen ich es zum Lesen gegeben habe. Weil ich so stolz darauf war. Überzeugt, groß herauszukommen. In Talkshows meine kritische Stimme zu erheben und meinem Intendanten entgegenzuschleudern: »Sie sind der Totengräber des öffentlich-rechtlichen Rundfunks! « Ich hielt mich für ein verkanntes Genie und war felsenfest überzeugt davon, dass ich im Beruf schikaniert und gemobbt werde. Dass ich ein Opfer war – obwohl ich das Boot tatkräftig ins Abseits mitgerudert hatte. Ich hatte meinem Vorgesetzten offen den Krieg erklärt und mich dann beschwert, dass meine Leistungen nicht gewürdigt werden.
In der Klinik habe ich meine literarische Generalabrechnung vollendet. Nächtelang in meinem Zimmer wie besessen in die Tasten gehackt, herzlich gelacht über witzige Einfälle, die mir jetzt nur noch platt erscheinen. Die Anstalt sollte mein Roman doppeldeutig heißen.
In meiner Rundfunkanstalt ist der Mörder ein Flurgespenst. So nennt man Mitarbeiter, die irgendwann ins Abseits gedriftet sind. In irgendeinem abgelegenen Büro vergammeln und laut vor sich hin murmelnd über die Flure schleichen. Wenn du einem Flurgespenst begegnest, berührt dich der Eishauch des Versagens. So möchte man nicht enden. Das Flurgespenst in meinem Roman schlägt zurück. Bringt sie alle nacheinander um – all die Typen im NDR, die mich jeden Tag genervt haben. Zum Schluss der große Showdown. Das Flurgespenst ist mit seinem .45er-Colt auf dem Weg zur Konferenz. Ebenso der unglücklich verliebte Kripokommissar, der immer noch den kokainsüchtigen Reporter für den Mörder hält. Da hallen auch schon Schüsse aus dem Konferenzsaal. Der Kommissar erschießt aus Versehen den Programmdirektor, und der Intendant erscheint volltrunken am Tatort.
»Ein prophetisches Buch«, spottete mein bester Kumpel. Geradezu die perfekte Empfehlung für den Job des Flurgespenstes. Ich fand das nicht komisch. Mir war es ernst. Ich hielt ihn für neidisch. So wie alle anderen Freunde, die mich überreden wollten, dies Buch am besten gar nicht oder zumindest unter Pseudonym zu veröffentlichen. Aber ich war geradezu besessen davon, meinen Namen auf dem Cover des Buches zu lesen. Habe Päckchen um Päckchen gepackt mit jeweils 378 ausgedruckten Seiten und sie an Verlage geschickt. Wartete auf den Beginn der Bieterschlacht. Dachte darüber nach, ob ich den Programmdirektor in der Verfilmung lieber mit Götz George oder Heiner Lauterbach besetzen würde.
Keine Ahnung, ob ich auf meine Therapeuten gehört hätte. Jedenfalls hätte ich ihnen keine missgünstigen Motive unterstellt. Aber sie haben es ja nicht mal versucht, mich abzuhalten von meinem literarischen Rachefeldzug. Und ich habe viel und oft darüber gesprochen, sowohl mit Dr. B. als auch danach in der ambulanten Therapie. Der eine wünschte mir zum Abschied, meinen Namen auf der Spiegel-Bestsellerliste zu lesen. Die andere nahm das Skript mit nach Hause. So viel verstehe sie ja
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