"Arschtritt" - Senzel, H: "Arschtritt"
zunächst weiter mit Raymon Racallo und seinem Tanzorchester…«
Ich spüre die Gänsehaut meiner Farmerfamlie. Der Mann geht ängstlich zum Fernster, lässt sich aber nichts anmerken vor Frau und Kindern, blickt in den Himmel – Grover’s Mill ist keine 100 Meilen entfernt. Draußen regnet es, der Sturm rüttelt an den Läden. Die Kinder fragen: »Papa, was ist das?« – und auch im Blick seiner Frau liegt Angst. Er sagt so ruhig er kann: »Keine Ahnung, aber wir dürfen nicht die Nerven verlieren, lass uns ein paar Sachen zusammenpacken – für alle Fälle.«
Zur gleichen Zeit werden die Polizisten im Columbia-Broadcasting - Gebäude mit ihren Holzknüppeln an die verriegelte Studiotür geklopft haben. Bombastische Musik setzt ein – die pathetische Sprecherstimme: »Sie hörten das Hörspiel Krieg der Welten .« Ein Tusch, dann meldet sich ein belustigter Orson Welles: »Und denken Sie daran, wenn es heute Nacht an Ihre Tür klopft: Das sind keine Außerirdischen – es ist Halloween.«
Deutsche Seele
1939 stellte die BBC ihr Fernsehprogramm auf unbestimmte Zeit ein – mitten in einem Micky-Maus-Film. Sechs Jahre später nahm sie ihr Programm mit demselben Film und folgendem Satz wieder auf: »Wir bitten, die Programmunterbrechung zu entschuldigen …« Das ist britisch. Diese absolute Unaufgeregtheit mit einem Schuss Absurdität. Man weiß nie so genau: Meinen die das jetzt ernst oder veräppeln die mich? Oder sich selbst? Der Brite regt sich jedenfalls nicht auf. Stoisch erträgt er alle Widrigkeiten des Lebens. Er drängelt nicht. Er wird nicht laut. Er beschwert sich nicht. Sondern macht höchstens ein Witzchen.
Wunderbar! Man nimmt sich als Deutscher immer wieder vor, von so viel Gelassenheit zu lernen. Aber man kann schlecht aus seiner Haut. Ist nun mal so gedrillt, dass man Missstände möglicherweise eher beheben würde – statt sie klaglos hinzunehmen. In Deutschland hätte man die Londoner U-Bahn längst dichtgemacht und eine komplett neue gebaut mit großen lichten Bahnhöfen statt der deprimierenden Kellerlöcher. Aber solche Gesamtlösungen sind typisch deutsch. Der britischen Mentalität entspricht es eher, hier etwas zu frickeln, da etwas zu improvisieren, bis es wieder einigermaßen geht. So funktioniert das ganze Land – gerade noch so eben.
Ich muss mir bloß die Verkabelung in der Tube anschauen. In meiner Heimat jedenfalls endet ein Kabel, das als rotes beginnt, auch rot, weil man nicht einfach irgendwelche Kabel aneinanderflickt. Und man verlegt sie in Kabelschächten oder führt sie über Putz genau waagrecht und mit exakt gleichen Abständen voneinander mit Schellen an der Wand entlang. Aber man schmeißt sie nicht einfach bündelweise in die Ecke oder bindet einen armdicken, ineinander verdrehten Wust mit Draht an die Tunnelwand, wo er bis zum Boden durchhängt. Als ich mich darüber mal im Pub lustig machte, fanden das alle ziemlich komisch. Dass man sich über so etwas Gedanken machen kann, wie London Underground die Kabel verlegt. Dass einem so etwas überhaupt auffällt. Meine Güte, diese Deutschen …
Ich wollte nie ein typischer Deutscher sein. Man macht sich als Deutscher ja gern lustig über das eigene Land
und die ganze Spießbürgerlichkeit und Provinzialität und dieses Ernsthaft-Effiziente. Deutsche neigen dazu, woanders alles besser zu finden: französische Lebensart, englische Gelassenheit, italienisches Dolce Vita, amerikanische Zuversicht … Aber seit ich im Ausland lebe, spüre ich jeden Tag aufs Neue, wie deutsch ich doch in meiner Seele bin. Neulich habe ich einen für englische Maßstäbe sehr deutlichen Beschwerdebrief an meinen Vermieter geschrieben. Seit einem halben Jahr läuft mein Duschwasser auf den Küchentisch des Mieters unter mir. Sieben Klempner waren da und haben es nicht auf die Reihe bekommen. Ich zahle eine absurd-horrende Londoner Miete, aber ich darf nur »vorsichtig duschen«. Alles muss man sich nun wirklich nicht bieten lassen. Wenige Tage später bekam ich die Antwort meines Landlords, sie begann mit dem Satz: »Sie haben natürlich völlig recht und in einer perfekten Welt dürfte so etwas nicht passieren, aber leider leben wir nicht in einer solchen.«
Ego und Arbeit oder Arbeit am Ego
Der Tod im Funkhaus
Ich war der Tod, der im Funkhaus umging, und raffte verhasste Kollegen und Chefs gleich reihenweise dahin. Als vor fünf Jahren mit der psychischen Krise der Karriereknick kam, fand mein Frust sein Ventil in einem
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