Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
"Arschtritt" - Senzel, H: "Arschtritt"

"Arschtritt" - Senzel, H: "Arschtritt"

Titel: "Arschtritt" - Senzel, H: "Arschtritt" Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger Senzel
Vom Netzwerk:
nicht von Medien, meinte sie diplomatisch. Aber man muss nicht vom Fach sein, um es zumindest überdenkenswert zu finden, nach einem halben Jahr Krankheit wegen schwerer Depression in den Job einzusteigen mit einem »Knüller«, in dem die Chefs bloßgestellt oder ermordet werden. Schöner kann man ja als Psychologe die destruktiven Mechanismen eines Patienten nicht präsentiert bekommen.
     
    Ich habe mir ziemlich oft im Leben ein Bein gestellt. Ich hatte mit 18 Jahren die Schule ohne Abitur verlassen, bei einer Lokalzeitung volontiert und ging mit 21 als freier Mitarbeiter zum Hessischen Rundfunk. Mit 24 bekam ich einen wichtigen Radiopreis und verdiente 100.000 Mark, viel Geld damals. Mit 28 hatte ich mir als Reporter in der ARD einen Namen gemacht und es auf eine Viertelmillion pro Jahr gebracht. Mit 31 war ich Chefreporter für sechs Privatsender, hatte einen Audi Quattro als Dienstwagen, reiste Business durch die Welt und führte in Luxushotels ein Leben, wie Klein-Holger aus Nordhessen sich das Reporterdasein in seinen kühnsten Träumen vorgestellt hatte. Aber ich habe mein Kapital nicht gewinnbringend
angelegt – und damit meine ich nicht vorrangig das Finanzielle, sondern den großen Vorsprung, den ich mir mit dieser jungen Karriere erarbeitet hatte. Ich habe alles in vollen Zügen verprasst. Aus Überheblichkeit und Unreife. Egal, wie gut man in seinem Job ist – man empfiehlt sich nicht für eine ernsthafte Karriere, wenn man als Reporter mit einem .357er-Magnum-Revolver im Kofferraum live über den Hamburger Arafat-Besuch berichten will. »NDR-Reporter mit Revolver bei Arafat« – titelte BILD , und im Text hieß es: »Die .357 Magnum ist die stärkste Kurzwaffe, die es gibt. Du kannst damit Elefanten stoppen und Motorblöcke durchschießen. Dirty Harry hat eine. Holger Senzel hat auch eine. Und deshalb hat der NDR-Mann jetzt Probleme.«
    Ich war überzeugt, dass ich ein Opfer war. Dabei habe ich tatkräftig mitgerudert auf dem Boot ins Abseits.
    An irgendeiner Kurve habe ich den Anschluss verpasst – und es nicht gemerkt. Aber irgendwann funktioniert es eben nicht mehr, sich mit jungenhaftem Charme durchzumogeln. Irgendwann sind Entgleisungen keine Jugendsünden mehr, sondern Charakterdefizite. Die Maßstäbe hatten sich verändert – und ich hatte es nicht mitbekommen. Was mir in der Therapeutenpraxis sehr plausibel schien, hat im echten Leben nicht funktioniert. Ich bin nun mal nicht allein auf der Welt.
    Nach meinem Klinikaufenthalt ging ich zurück in meinen Job. »Wir freuen uns, dass Holger Senzel wieder bei uns ist. Herzlich willkommen zurück!« In den vergangenen Wochen hatte ich mir diese erste Konferenz oft
in meiner Fantasie ausgemalt. 22 Gesichter waren jetzt auf mich gerichtet. Ich suchte Misstrauen darin. Häme. Geringschätzung. Einige lächelten. Wissend? »Du, der Senzel war in der Psychiatrie …« Ich hatte meine ersten Sätze oft geprobt, aber nun brach mir die Stimme. Ich hatte mich für Offenheit entschieden. Wollte alle Gerüchte im Keim ersticken, indem ich klipp und klar und unverschnörkelt erzählte, was los gewesen war. Von der Klinik. Krise als Chance. Sie honorierten es mit beifälligem Nicken und anerkennendem Gemurmel, der Chefredakteur freute sich noch mal über meine Rückkehr – dann wurde das Tagesprogramm besprochen. Beim Herausgehen erntete ich ein paar ermunternde Schulterklopfer und Sätze wie »Müssen mal ’nen Kaffee trinken«, dann kehrten sie alle zu ihrer Arbeit zurück. Jeder hat seinen Job, der Laden muss laufen – und er lief ja auch die letzten Monate ohne mich. Willkommen im Leben.
    Ich habe immer gern hinter dem Mikrofon gesessen. Als Moderator im Studio die Reporter angesagt und Politiker interviewt. Ich mochte die Anspannung und Hektik aktueller Sendungen, denn kein Medium kann so schnell auf Ereignisse reagieren wie das Radio. Ich blieb gelassen bei Stress und konnte zur Not auch ohne einen Fetzen Papier flüssig und strukturiert reden. Es fiel mir leicht, deshalb hat mir mein Beruf immer Freude gemacht.
    Jetzt hatte ich nur noch Angst. Mein Hemd war klatschnass, meine Kehle staubtrocken. Das Rotlicht über dem Mikrofon leuchtete auf … durch die Sendung führt Sie Holger Senzel … Ob man im Radio mein wild pochendes Herz hörte? Mit brüchiger Stimme stolperte und haspelte ich mich durch hölzerne Texte. Zweimal wöchentlich
war ich am Mikrofon. Ein moderater Einsatz; meinem Zusammenbruch geschuldet. Aber ich hatte schlaflose Nächte

Weitere Kostenlose Bücher