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"Arschtritt" - Senzel, H: "Arschtritt"

"Arschtritt" - Senzel, H: "Arschtritt"

Titel: "Arschtritt" - Senzel, H: "Arschtritt" Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger Senzel
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Tide ist gerade gekippt – ich merke es daran, dass sich das Schiff mit der wechselnden Strömung an seiner Ankerkette dreht – in drei, vier Stunden liegt Plomp komplett auf dem Trockenen, und dann kommen die Vögel und picken die Würmer aus dem Schlick. Dann kommt wieder die Flut, füllt gurgelnd Rinnen und Gräben im Schlick, klettert zentimeterweise das sanft ansteigenden Inselufer herauf, bedeckt Propeller und Ruder des festsitzenden Schiffes – bis es wieder es aufschwimmt und sich erneut langsam mit der Strömung an seiner Ankerkette dreht. Die Zeit schleicht, »Lange-Weile« in ihrer Bestform. Gedankenstürme flauen ab,
Grübeleien verebben. Ich empfinde einfach nur tiefen Frieden und Lebensfreude.
    Die untergehende Sonne verwöhnt mich mit einem grandiosen Farbspektakel in sattem Purpur und Violett – es ist schwer auszumachen, wo der Himmel aufhört und die Spiegelungen im Wasser beginnen. Die Sonne versinkt jetzt ziemlich schnell hinter den Bäumen von Schweinesand, es wird kühl – und ich verziehe mich in die Kajüte. Zünde Petroleumlampe und Kerzen an, koche mir auf meinem kleinen Gasherd Nudeln mit Soße, während ich durch die offene Tür nach draußen schaue. Das Wasser ist fast schwarz, der Himmel im dunkelsten Blau, ein Vogelschwarm zieht kreischend vorbei. Irgendwann greife ich dann doch zum Faust . Die Sprache ist natürlich gewöhnungsbedürftig. Nur Dialoge, alles in Versen – ein Schauspiel halt. Aber dann packt es mich und ich werde hineingezogen in die schreckliche Zerrissenheit eines Menschen, der auch alles haben will, der ahnt, was ihn der Pakt mit dem Teufel am Ende kosten wird. Dieser Teufel ist geistreich, witzig, eher Hallodri als Finsterling. Hat mit Gott eine Wette laufen, ob er die Seele des braven Doktor Faust kriegt oder nicht. Das Schiff wiegt sich in der leisen Dünung, Blöcke quietschen, die Takelage knarzt, die Laterne an der Decke lässt Lichtkreise auf dem hölzernen Kajüttisch tanzen.
     
    […]
Und ziehe schon an die zehen Jahr
Herauf und herab und quer und krumm
Meine Schüler an der Nase herum –
Und sehe, dass wir nichts wissen können!

Das will mir schier das Herz verbrennen.
Zwar bin ich gescheiter als die Laffen,
Doktoren, Magister, Schreiber und Pfaffen;
Mich plagen keine Skrupel noch Zweifel,
Fürchte mich weder vor Hölle noch Teufel –
Dafür ist mir auch alle Freud entrissen,
Bilde mir nicht ein, was Rechtes zu wissen,
Bilde mir nicht ein, ich könnte was lehren,
Die Menschen zu bessern und zu bekehren.
[…]
     
    Ja, genau so habe ich mich auch oft gefühlt, genau das ist es! Das muss ich laut lesen, das muss ich spielen, das muss ich fühlen. Ganz und gar erfüllt gehe ich hinaus auf meine private Bühne. In der einen Hand das Buch, in der anderen die Laterne, rufe ich Fausts Verzweiflung in die sternenklare Nacht.
     
    […]
Auch hab ich weder Gut noch Geld,
Noch Ehr und Herrlichkeit der Welt;
Es möcht kein Hund so länger leben!
Drum hab ich mich der Magie ergeben,
Dass mir durch Geisteskraft und Mund
So manch Geheimnis würde kund.
Dass ich nicht mehr mit sauerm Schweiß
Zu sagen brauche, was ich nicht weiß;
Dass ich erkenne, was die Welt
Im Innersten zusammenhält.
Schau alle Wirkenskraft und Samen
Und tu nicht mehr in Worten kramen.

     
    Wind rauscht durch die Baumwipfel auf Schweinesand, das Schiff schwankt leicht, es ist still – nur ab und zu quakt eine Ente …
     
    […]
Ach könnt ich doch auf Bergeshöhn
In deinem lieben Lichte gehn,
Um Bergeshöhle mit Geistern schweben,
Auf Wiesen in deinem Dämmer weben,
Von allem Wissensqualm entladen
In deinem Tau gesund mich baden!
     
    Rumms! Mit einem Schlag ist die Nacht taghell. Grelles Scheinwerferlicht blendet mich – und von der Fahrrinne schallt eine Lautsprecherstimme herüber: »Sie da auf dem Sportboot – ist alles in Ordnung bei Ihnen?!« Ich bin zu Tode erschreckt. Wasserschutzpolizei. Ich recke den Daumen nach oben und versuche ansonsten, möglichst harmlos auszusehen in meinem Bademantel mit der Laterne und dem Buch in der Hand, obwohl ich Mühe habe, das Lachen zu unterdrücken. Ich schätze, dass sie da drüben jetzt eine Drogenkontrolle in Erwägung ziehen, aber sie müssten dazu ein Beiboot aussetzen, weil ihr Schiff zu viel Tiefgang hat. Nach ein paar Minuten erlischt der Scheinwerfer, der Lautsprecher wünscht mir eine gute Nacht und das Schiff verschwindet tuckernd in der Dunkelheit.
    Ich gehe glucksend wieder nach drinnen und denke

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