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"Arschtritt" - Senzel, H: "Arschtritt"

"Arschtritt" - Senzel, H: "Arschtritt"

Titel: "Arschtritt" - Senzel, H: "Arschtritt" Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger Senzel
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amüsiert, dass die die Wasserschutzpolizei leider ihren Einsatz verpatzt hat – der Scheinwerfer kam ein paar Sekunden zu früh. Zusammen mit Mephisto hätte sich
die Nacht erhellen müssen. Heiter ziehe ich mich in die Kabine zurück und dann – lerne ich den ganzen Faust-Monolog auswendig, während die schwankende Laterne ihre Lichtkreise tanzen lässt. Weil mir das in der Schule immer relativ leicht gefallen ist und ich schauen will, ob ich’s immer noch kann.
    Bereits nach vier Versuchen klappt es einigermaßen. An der einen oder anderen Stelle hakt es und ich muss nachschauen – aber dann sitzen die ersten Strophen und ich gehe – diesmal ohne Laterne – noch einmal hinaus in die finstere Nacht, um der Wasserschutzpolizei die Chance zu geben, ihren Patzer wettzumachen.
     
    Und fragst du noch, warum dein Herz
Sich bang in deinen Busen klemmt?
Warum ein unerklärter Schmerz
Dir alle Lebensregung hemmt?
Statt der lebendigen Natur,
Da Gott den Menschen schuf hinein,
Umgibt in Rauch und Moder nur
Dich Tiergeripp und Totenbein.
     
    Lauthals, nur für mich und die Schreitvögel und um mich daran zu freuen, dass ich das tatsächlich kann: aus dem Gedächtnis rezitieren. Ich weiß nicht, wofür oder warum ich das tue, aber es macht mich froh. Vielleicht ist das wie mit Wetten dass..? bei Gottschalk, wenn Leute Buntstifte am Geschmack erkennen oder Eier mit dem Bagger aufschlagen – irgendetwas tun, das keinen Sinn macht, aber sie freuen sich, dass sie das können. Und es ist so wunderschön, dass mir Tränen der Rührung kommen.
Wenn ich mich mal wieder wie eine ganz arme Wurst fühle, dann werde ich mich hoffentlich an diese einzigartige, wundervolle Nacht erinnern.
     
    […]
Ich fühle junges, neues Lebensglück
Neuglühend mir durch Nerv und Adern rinnen.
War es ein Gott, der diese Zeichen schrieb,
Die mir das innre Toben stillen,
Das arme Herz mit Freude füllen
Und mit geheimnisvollem Trieb
Die Kräfte der Natur rings um mich her enthüllen?
Bin ich ein Gott? Mir wird so licht!
Ich schau in diesen reinen Zügen
Die wirkende Natur vor meiner Seele liegen.
Jetzt erst erkenn ich, was der Weise spricht:
»Die Geisterwelt ist nicht verschlossen;
Dein Sinn ist zu, Dein Herz ist tot!
Auf, bade, Schüler, unverdrossen
Die irdsche Brust im Morgenrot!«
    Tag 12 – Von wegen »ankommen«
    Es kommt mir wie ein Zeitsprung vor – und der Flughafen London-Heathrow erscheint mir wie immer grauenhaft in seiner drangvollen verbauten Enge und DDR-Schäbigkeit. Weh steck ich in dem Kerker noch / verfluchtes dumpfes Mauerloch. Wo selbst das liebe Himmelslicht / trüb durch verschmutzte Scheiben bricht. Es ist mir ein großes Rätsel, wie eine so stolze Nation sich eine solche Visitenkarte erlauben kann. Mein Handy piepst, als ich es einschalte, 13 Nachrichten warten auf mich. Und dann
klingelt es auch schon und Britta überschüttet mich mit ihrer tagelang aufgestauten Empörung und Wut. Sie hat am Freitag in meinem Büro angerufen und erfahren, dass ich nach Hamburg geflogen bin. Hat gewartet, dass ich mich bei ihr melde, und sich dann Sorgen gemacht. Jetzt ist sie auf 180, und ich fühle mich genervt. »Britta, ich habe dir gesagt, dass ich mal ein bisschen Zeit für mich brauche. Dass ich mir einfach mal in Ruhe über ein paar Dinge klar werden muss.«
    »Na, da bin ich aber gespannt«, entgegnet sie schnippisch. »Sei doch so freundlich und ruf an, wenn du so weit bist.«
    »Britta, nun sei doch nicht so …« Aber sie hat einfach aufgelegt und mir die Auseinandersetzung erspart. Fürs Erste. Das war’s dann mit dem Wochenende. Natürlich ist es unfair, dass ich deswegen sauer auf Britta bin, aber wann sind Gefühle schon fair? Ja klar bin ich wütend auf mich selbst. Weil ich mich um Auseinandersetzungen drücke, mir schön alles offen- und Britta hinhalte. Das Gepäckband ist immer noch nicht angelaufen, und mein Groll wächst. Es ist nicht fair, was ich da treibe, ich muss mit Britta reden. Ich will nicht in dieser trübsinnigen Halle stehen, ich will in mein Bett und mit Fausts Versen selig einschlummern. Aber was soll ich Britta denn sagen? Dass ich sie nicht mehr liebe? Wie kann ich mir denn da so sicher sein? Das Gepäckband steht jetzt seit einer Stunde still. Vielleicht sollte es uns eine Chance geben. Erst mal abwarten, wie es sich anfühlt, wieder mit Britta zusammen zu sein. Nicht das geringste Anzeichen dafür, dass sich hier in absehbarer Zeit etwas tut. Es ist gleich Mitternacht,

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