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"Arschtritt" - Senzel, H: "Arschtritt"

"Arschtritt" - Senzel, H: "Arschtritt"

Titel: "Arschtritt" - Senzel, H: "Arschtritt" Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger Senzel
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Bushaltestelle, ein aufmunterndes Lächeln in der Kassenschlange. Das Gänseblümchen im Asphalt, spielende Eichhörnchen in einem Stadtpark, zwei Händchen haltende Alte. Kleinigkeiten, völlig banale Dinge, die du normalerweise gar nicht wahrnimmst und die doch ein Stück Heiterkeit in dein Herz bringen. Kürzlich hat mir eine Frau aus Uganda im Bus ihre Lebensgeschichte erzählt. Sie war die Tochter eines Stammesfürsten, musste fliehen und ist gerade mit einer Fremdenpension in Nordengland Pleite gegangen. Nach acht Stationen stieg sie wieder aus meinem Leben aus. Ich habe mir nie etwas aus Small Talk mit Fremden gemacht. Ich habe mich oft einsam gefühlt, weil ich in London keinen echten Freund habe. Umso mehr verblüfft es mich, wie sehr mich diese Begegnungen auf einmal berühren. Dem Leben ein Gefühl von praller Fülle geben. Ich bin allein, aber nicht einsam, weil es alles im Überfluss gibt, wonach mein Herz sich sehnt: ein Lächeln, ein freundliches Wort, ein Stückchen Wärme an einem nassgrauen Tag. Glück entsteht aus Aufmerksamkeit.
    »Es ist sinnlos, den Michael Kohlhaas zu spielen«, sagte mein Vater, wenn ich als Schüler gegen die Lehrer-Autorität
rebellierte. Michael Kohlhaas war also ein Rebell. Jemand, der gegen Ungerechtigkeit kämpft, aber dabei die Kräfte der Realität nicht beachtet. Wenn mein Vater ihn nicht gut fand, musste er per se ein guter Typ sein. Kleists Kohlhaas war das dritte Buch aus meiner Liste. Weil ich mir schon damals vorgenommen hatte, es zu lesen, als mein Vater Michael Kohlhaas zitierte. Ich habe es aber natürlich nie getan.
    Jetzt frage ich mich, ob mein Vater tatsächlich gewusst hat, wer Michael Kohlhaas war. Oder ob ich ihn gewaltig unterschätzt habe. Michael Kohlhaas war jedenfalls kein rebellischer Held, sondern ein sauertöpfischer Schurke, der »aus Prinzip« über Leichen geht. Solche Entdeckungen versetzen mich jedes Mal in regelrechte Verzückung. Wenn liebevoll gepflegte Annahmen plötzlich einstürzen und sich dir neue Zusammenhänge eröffnen. Wie in dieser Fernsehsendung, die ich immer mit meinem Sohn geschaut habe: Wissen macht Ah… Auch wenn es völlig nutzloses Wissen ist. Etwa dass »Sabotage« vom französischen Holzschuh der Handwerker kommt, dem Sabot, mit dem sie bei einem Streik die Maschinen blockierten.
    »In einem gesunden Körper wohnt ein gesunder Geist«, steht als Motto auf dem gelben Ordner: Körpersanierung. Heute habe ich mich gefragt, ob es womöglich ein Nazi-Spruch ist. Weil er so nach Körperertüchtigung und kaltem Wasser und »Sei hart gegen dich selbst« klingt. Stattdessen stoße ich auf den altrömischen Dichter Juvenal. Ein Schöngeist. Der das überhaupt nicht so meinte, dass ein fitter Body clever macht. Sondern dass ein gesunder Geist und ein gesunder Körper die beiden wichtigsten Dinge seien, für die man
beten solle. Alles, was mich beschäftigt, hat irgendwer schon mal gedacht.
     
    Ich habe Michael Kohlhaas übrigens nicht zu Ende gelesen. Mochte den Stil nicht. Habe den Rest im Schnelldurchlauf durchgeblättert, weil ich wissen wollte, wie es ausgeht. Man kann sich nun mal nicht mit allen Büchern anfreunden – egal ob Schwanitz sagt, dass man sie gelesen haben »muss«. Ulysses von James Joyce beispielsweise. Die Menschheitsgeschichte an einem Tag. Ein Meisterwerk. Ein Jahrtausendbuch. Ich hab es wieder von meiner Liste gestrichen, nachdem ich in der Buchhandlung einen Blick hineingeworfen hatte. Grundgütiger, warum soll ich mir das antun? Wo doch das Lesen momentan mein einziges Vergnügen ist. Ich habe stattdessen Die Schatzinsel gekauft, und ich freue mich schon beim Aufstehen darauf, mich abends ins Bett zu kuscheln und zu versinken in dieser wundervollen Jungsgeschichte einer Schatzsuche mit Meuterei und Piraten und diesem einbeinigen Schurken John Silver – schlitzohrig, witzig, opportunistisch, mein eigentlicher Held. Und mein Kulturevent für die kommende Woche? Der neue James Bond! Man kann sich auch innerhalb klarer Regeln seine Freiräume schaffen.
    Tag 9 – To be or not to be
    Stratford upon Avon, Shakespeares Geburtsstadt. Kleine, windschiefe Fachwerkhäuser, Pubs mit Butzenscheiben, Kopfsteinpflaster. Pittoresk würde man das Städtchen nennen, wären nicht die Horden von Touristen und Dutzende Andenkenläden mit Shakespeare-Büchern, -Tassen,
-Mobiles, -CDs. Ich habe mein wöchentliches Kulturevent mit einem Wochenendausflug kombiniert, mir ein Zimmer in einem netten kleinen Hotel gebucht und

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