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"Arschtritt" - Senzel, H: "Arschtritt"

"Arschtritt" - Senzel, H: "Arschtritt"

Titel: "Arschtritt" - Senzel, H: "Arschtritt" Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger Senzel
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für heute Abend eine Theaterkarte. Der Nahverkehrszug von London-Paddington hat statt anderthalb Stunden drei Stunden gebraucht, weil die automatische Türöffnung defekt war und sämtliche Fahrgäste an jedem Halt durch die einzig noch funktionierende Tür ein- und aussteigen mussten. Das sah sehr lustig aus, wie sie da alle jedes Mal wieder im Gänsemarsch durch den Zug gegangen sind. Ich bin ein bisschen durchgefroren, weil die Klimaanlage defekt war und den Zug auf gefühlte drei Grad heruntergekühlt hat. Deshalb lasse ich mir jetzt erst einmal ein Bad ein. Ich freue mich auf den Abend, bin aufgeregt und sehr gespannt, ob es bei mir wirkt: dieser ganze Kosmische-Orgasmus-der-Sinne-Kram, von dem Schwanitz schreibt. Das Handy klingelt. Britta glaubt mir nicht, dass ich allein zu Shakespeare fahre. Vermutet eine andere Frau dahinter. Als ich sie überzeuge, ist sie trotzdem sauer: »Mit mir hast du das nie gemacht …« Die Badewanne ist immer noch halb leer. Ich nehme mir einen Tomatensaft aus der Minibar und fläze mich im Bademantel mit der Zeitung aufs Bett. Der Wasserdruck in England ist fast überall erbärmlich, es dauert ewig, bis eine Wanne voll ist …
     
    … ich erwache vom Klopfen an meiner Zimmertür. Als ich aufspringe, quatschen meine Füße in dem durchnässten Teppich. Aus dem Bad plätschert es munter weiter, knöcheltiefes Wasser auf den Fliesen. Ich drehe hektisch die Hähne zu, dann haste ich zur Tür, an die jetzt ein
weiteres Mal geklopft wird. Blicke in das freundliche Gesicht eines älteren Herrn, der lächelnd sagt: »Entschuldigen Sie die Störung, Sir! Aber ist es möglich, dass Sie ein Problem mit Ihrem Bad haben, bei dem ich behilflich sein kann?«
    Tag 10 – Perfekt oder entspannt
    Auf der Hotelrechnung stehen 400 Pfund für den Wasserschaden. Ich will schon protestieren – aber was würde es nützen? Er würde mich seines ganzen Mitgefühls versichern für meinen Ärger: »Natürlich Sir, ich verstehe Sie, das ist doch klar Sir«, und meinen Unmut einfach abperlen lassen an seiner unerschütterlichen Höflichkeit. Selbst wenn ich laut werde, wird er mich weder mit einem harschen »Nein« brüskieren noch sich meine Unverschämtheiten verbeten. Sondern fände meinen Standpunkt »interessant« oder »nachvollziehbar«. Und am Ende würde ich mich fühlen wie der letzte Flegel und beschämt von dannen ziehen, während er mir die Tür aufhält und fröhlich eine gute Reise wünscht. Das muss ich jetzt nicht haben. Also entschuldige ich mich noch einmal wortreich für die Unannehmlichkeiten. »Macht gar nichts«, lächelt er, »unseren japanischen Gästen passiert das andauernd.«
     
    Ich habe gestern Shakespeare gesehen. Ich sollte über solch kleinlichem Hadern wegen läppischen 400 Pfund stehen. Manchmal versetzt mich diese englische Höflichkeit aber in Rage. Dieses permanente Um-den-heißen Brei-Herumreden. Gleichzeitig denke ich schon wieder mit Grausen an die Miesepetrigkeit meiner deutschen
Landsleute. Wie sie rummeckern und sich beklagen, weil der Zug zehn Minuten Verspätung hat, und wie sie sich drängeln und schubsen vor der Tür und die Rolltreppen blockieren, weil sie nicht kapieren, dass man rechts stehen und links gehen muss … Mit welch munterer Gelassenheit die Londoner die Widrigkeiten einer Metropole hinnehmen, die immer kurz vor dem Kollaps steht. Die im Chaos von Heathrow noch ein Witzchen darüber reißen, dass der Flug ausgefallen und das Gepäck auf dem Weg nach Kuala Lumpur ist. Statt zu toben und zu wüten und British Airways Klagen anzudrohen. Aber vermutlich funktioniert Deutschland genau deshalb so perfekt, weil sofort die Revolution ausbricht, wenn mal was nicht ganz so läuft. Entweder ein entspanntes oder ein perfektes Leben. Man kann nicht alles haben – da haben wir’s mal wieder …
    Ach ja – Shakespeare. Kernfusion des Geistes. Der Urknall als poetischer Orgasmus der Kreativität. Die unbändige Lust am Leben, die Schwanitz prophezeit, wenn man Shakespeare sieht. Ich habe leider irgendwann den Faden verloren in all den Ränkespielen und Possen, die mir so schrecklich weit hergeholt und aufgesetzt schienen. Bei vielen Pointen habe ich als Einziger nicht gelacht. Mein Englisch ist nicht gut genug. Es reicht für ein Interview und es reicht für eine politische Diskussion im Pub und um mit dem Kellner das Menü zu besprechen. Aber es reicht noch lange nicht für Shakespeare. Wenn ich ehrlich zu mir bin, ist mein Englisch allenfalls

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