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"Arschtritt" - Senzel, H: "Arschtritt"

"Arschtritt" - Senzel, H: "Arschtritt"

Titel: "Arschtritt" - Senzel, H: "Arschtritt" Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger Senzel
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Frühmorgenstunden auf dem Flughafen Hamburg verbracht, bevor ich mit der
ersten Maschine zurückgeflogen bin. Dieser Geruch hier … Puh! Und ich muss die ganze Zeit daran denken, wie wunderbar Britta gerochen hat.
     
    Ja, es gab die Verschlingende-Leidenschaft-Beziehung. Zwei zusammenpassende Puzzlesteine im Universum, vom Schicksal zusammengefügt. Körper und Seelen vereint. Die Frau, auf die ich mein Leben lang gewartet habe. Glühende Liebesbriefe, in denen auffällig oft die Worte »immer« und »ewig« vorkommen. Die werden schnell sehr anstrengend und enden immer schmerzhaft. Es gab die freundlich-sanften Lieben. Keine feurigen Briefe, keine theatralischen Szenen. Dafür sehr warm und entspannt. Gespräche beim Wein, Essen mit Freunden, vertraute Zärtlichkeiten, Elbspaziergänge, Urlaubspläne, Tatort am Sonntagabend, genug Zeit für meine Kumpel. Stets latent bedroht durch das nächste Paar Glutaugen bei Kerzenlicht. Es gab immer eine Frau in meinem Leben. Es war immer jemand da. In festen Partnerschaften, in gemeinsamen Wohnungen, getrennten Wohnungen, Übergangs- und Ablösebeziehungen, Affären usw. Jetzt ist niemand mehr da und ich bin zutiefst verstört. Eine Frau zu verlassen, ohne dass (weiblicher) Trost auch nur in Sicht wäre – das ist neu. Mich zu trennen, bloß weil Gefühle nicht reichen – das hat Premiere.
    Die unerfüllte Liebe habe ich in meiner Bilanz vergessen. Vielleicht die beste. Nie habe ich mehr Einsatz gebracht und mich mehr bemüht als um Frauen, die sich von mir abwandten. Bis ich sie dann hatte … Britta kann eigentlich froh sein, dass sie mich los ist. Mir aber wird das noch mal richtig leidtun. Ich bin 47 und womöglich
kommt so eine Chance nie wieder. Das Beste, das mir passieren konnte. Sagten meine Freunde. Weil sie mich erdete. Wenn ich mir bloß ein wenig mehr Mühe gegeben hätte – wer weiß …
     
    »Service is running a little slower than usual«, verkündet der Lautsprecher in der U-Bahn. Ein bisschen langsamer als normal? – Hier bewegt sich seit 20 Minuten überhaupt nichts mehr. Meine Hand klebt an der Haltestange. Die Stimme im Lautsprecher verkündet, dass sich jetzt nur noch drei Züge vor uns im Tunnel stauen und es innerhalb der nächsten Viertelstunde weitergeht.
    Ich bin jetzt frei. Ich kann tun und lassen, was immer ich will, muss keine Ausreden mehr suchen, wenn ich ohne sie losziehe, muss mich nicht mehr zu Anrufen verpflichtet fühlen. Ich kann den ganzen Urlaub allein mit dem Boot rausfahren und vor Schweinesand ankern, bis ich festroste. Weil es niemanden mehr interessiert, was ich tue … Ich habe tatsächlich ein bissschen Angst vor dem Alleinsein, und das gar nicht mal so sehr, weil ich nichts mit mir anzufangen weiß, sondern weil da niemand ist, dem ich wichtig bin. Anders, als ich Freunden und Kindern wichtig bin, die sich in ihrer eigenen Welt bewegen. Es gab doch gar keinen Grund, das so überstürzt vom Zaun zu brechen.
    Ich habe es versemmelt, so viel ist mir klar. Ich war nicht geradelinig und nicht ehrlich, und davon habe ich Bauchschmerzen bekommen. Dafür kann Britta aber nichts. Als ich heute früh um halb zwei das Treppenhaus von ihrer Wohnung hinunterrannte, war ich unendlich erleichtert. Auch traurig, sicher – aber es hat sich richtig
angefühlt. Das dumpfe Grummeln im Magen war endlich weg. Nun meldet es sich heftig zurück.
    Es nieselt, als ich die U-Bahn verlasse, Wolken in 50 verschiedenen Grauschattierungen hängen tief am Himmel. Rote Doppeldeckerbusse brausen vorbei, tausende Schuhsohlen klacken auf dem nassen Asphalt, Zeitungsverkäufer schreien Schlagzeilen in den Wind, Böen zerren an den Schirmen. Ein hektischer, lauter, einsamer Großstadtmorgen. Welche meiner Verflossenen könnte ich wohl anrufen? Tatsächlich geht mir dieser Gedanke durch den Kopf. Aber nur kurz. Dann denke ich ans Internet. Diese Foren, in denen man unverbindlich und anonym mit Frauen chatten und ein bisschen flirten kann und sich dann in Ruhe überlegt, ob man sie treffen will. Untersteh dich, Alter! Aber mein Nähebedürfnis kann sehr ausgeprägt sein an grauen Sonntagnachmittagen. Da könnte ich mich sogar hinreißen lassen, mich mal ganz unverbindlich wieder bei Britta zu melden.
    »Im Oberstübchen sitzt der Intellekt und schaut dem Treiben zu. Er sagt zum Willen: ›Alter! lass das sein! Es gibt Verdruss!‹ Aber er hört nicht. Enttäuschung; kurze Lust und lange Sorge; Alter, Krankheit, Tod, sie machen ihn nicht mürbe; er macht so

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