Arsen und Apfelwein
Nach dem jungen Mädchen, das hier arbeitet. Sie hatte es bis in ihren Verschlag unter der Küche gehört und hatte seine Stimme sofort erkannt. Natürlich wurde er weggeschickt und die Frau verständigt. Sie würde sie gleich holen lassen.
*
Jenny versuchte, ihre Tennisschuhe im Gras zu reinigen, bevor sie in den auf Hochglanz polierten Mercedes des Profs stieg. Die Ledersitze rochen fantastisch. Schweigend fuhren sie die kurze Strecke zum gerichtsmedizinischen Institut, das sich im benachbarten Stadtteil Sachsenhausen befand.
»Kommen Sie«, meinte der Prof beim Aussteigen. »Wir gehen gleich durch in die Sektionshalle.«
Er führte sie durch eine Seitentür, die in einen langen Gang mündete. Sie stiegen eine Treppe hinunter und kamen direkt vor der gekachelten Sektionshalle an. In einem Vorraum hingen Kittel und Kopfbedeckungen, auf einem Tisch lagen Einmalhandschuhe in verschiedenen Größen. Jenny zog Überschuhe an, der Prof holte Gummischuhe aus einem Spind.
Gemeinsam betraten sie den Saal. Gleich auf dem ersten Metalltisch lag die Leiche des Mädchens. Ein junger Mann kam ihnen entgegen. »Ich habe sie schon geröntgt.«
Der Prof winkte ihn mit einer ungeduldigen Handbewegung weg. »Worauf warten Sie dann noch? Entwickeln Sie die Bilder!«
Dann trat er an den Tisch und sah auf die eingebaute Waage. Von einem Beistelltisch nahm er ein Maßband und vermaß die Körpergröße. Bevor er sich Handschuhe anzog, schaltete er ein Mikro an. »Größe 1,48, Ernährungszustand mit 38,5 kg deutlich abgemagert, Haare mehr als schulterlang, Farbe dunkelbraun, Alter schätzungsweise 13.«
Er drehte sich um und brüllte durch den Raum: »Wo bleiben denn die Bilder?«
Dann beugte er sich wieder über die Leiche und schimpfte: »Bin gespannt, wann wir endlich Geld für ein digitales Röntgengerät bekommen. Ist ja wie im Mittelalter!«
Der Körper des toten Mädchens war in eine Art Betttuch eingewickelt und mit zwei bunten Stoffstreifen verschnürt. Der obere der beiden hatte sich fast komplett gelöst. Vorsichtig entfernte der Prof einen Teil des Stoffes.
Der Assistent des Profs eilte mit mehreren Röntgenbildern herbei und hängte sie auf. Der Prof trat vor den Betrachter und atmete abrupt ein. Als er sich zu Jenny umdrehte, war sein Gesicht versteinert. Er schien einen Moment nach Worten zu suchen.
Er atmete tief ein und räusperte sich. »Das Mädchen war älter als sie auf den ersten Blick erscheint. Eher sechzehn als dreizehn. Hier, sehen Sie die Wachstumsfugen?« Er zeigte mit der Spitze eines Stiftes auf die Hüftgelenke.
Dann starrte er einen langen Moment auf die Aufnahmen. »Kaum ein Knochen ist nicht ein- oder mehrfach gebrochen. Die Brüche scheinen nicht oder unzureichend ärztlich versorgt worden zu sein. Hier, der Arm ist falsch zusammengewachsen. Frakturen an den Rippen, das Schlüsselbein ist schief verwachsen. Das Mädchen hat die Hölle hinter sich.«
»Alte Brüche?«, vergewisserte sich Jenny.
»Definitiv alt. Teilweise mehrere Jahre. Einer der Brüche am anderen Arm ist frischer, aber auch schon zusammengewachsen.« Er beugte sich vor. »Da und da. Jochbein und Kieferknochen. Auch gebrochen.«
Er trat wieder an den Tisch und sah auf das Mädchen herab. Schweigend untersuchte er den Körper. »Alte Narben an Stirn, Oberkörper und Beinen. Und Brandnarben. Könnten von Zigaretten stammen. Am ganzen Körper.«
Er entnahm einige Proben. Dann winkte er seinen Assistenten herbei. »Sie können sie jetzt waschen. Einen Kaffee, Frau Becker?«
Jenny nickte dankbar. Es machte ihr nichts aus, eine Leiche zu sehen, aber zu erkennen, was dieses Mädchen, das praktisch noch ein Kind war, durchgemacht hatte, ging ihr nahe. Sie betraten den Nebenraum, zogen die Handschuhe aus und tranken einen Kaffee aus der bereitstehenden Kanne.
Nach einem Moment klopfte es und die Tür ging auf. Ein jüngerer, rothaariger Mann trat ein und blickte von einem zum anderen. »Dreher, Staatsanwaltschaft. Bin ich zu spät?« Er gab beiden die Hand. Der Prof betrachtete ihn von oben bis unten. »Neu?«, fragte er barsch.
»Meine erste Woche«, antwortete Dreher verlegen.
Jenny warf dem Prof einen Seitenblick zu. Das war ja gerade die richtige Obduktion zum Einstand. Hoffentlich wurde ihm nicht schlecht. »Waren Sie denn schon mal bei einer Obduktion dabei?«, fragte sie freundlich.
Er nickte entschieden. »Ja, allerdings. Sie brauchen keine Angst zu haben, dass ich umfalle.«
Der Prof schnaubte und Jenny warf ihm
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