Arsen und Apfelwein
Links erhoben sich die tristen Hochhäuser des sogenannten Mainfelds . Auf Jennys Seite waren ein paar Kleingärten. Nach etwa fünfzig Metern bog Jenny links in die parallel zum Ufer verlaufende Mainfeldstraße ein, wo einige Wassersportvereine ansässig waren.
Eine Baustellenabsperrung verhinderte hier die Durchfahrt von Fahrzeugen. Davor standen Logos Privatwagen, ein Wagen der Spurensicherung und der Mercedes des Gerichtsmediziners. Sie ging den schmalen Fußweg an der Seite bis hinunter zum Wasser. Logo kam ihr fluchend entgegen. »Was bringst du für ein Wetter mit? Ist schon schlimm genug auch ohne Regen.«
»Was liegt an?«, fragte Jenny und blickte Logo prüfend ins ungewöhnlich blasse Gesicht.
»Mädchenleiche. Böse zugerichtet.«
»Vom Wasser?«
»Schwer zu erkennen. Sie ist halb in Stoff eingewickelt. Der Prof will sie erst im Institut auswickeln.«
»Also kein natürlicher Tod oder Suizid?«
Logo schüttelte den Kopf. »Komm, schau’s dir an.«
Sie liefen bis zum Ende des im Bau befindlichen Stegs. »Was gibt das hier?«, fragte Jenny und blickte sich um.
Logo schnaubte ärgerlich. »Die Stadt hat einem der Bootsvereine hier ein Stück abgenommen, damit die Spaziergänger freien Zugang zum Main haben. Es gibt hier ja keine Uferpromenade, sondern der Weg führt auf diesem Uferstück hinter den Vereinen entlang. Man kann erst etwa hundert Meter weiter direkt an den Main.«
»Und das ist so schlimm?«
»Für einige Lokalpolitiker offensichtlich ja. Völlig sinnfrei das Ganze. Für so was haben die Geld und sonst fehlt’s an allen Ecken und Enden. Aber immer noch besser als der vorherige Plan. Da sollten alle Bootsvereine vom Ufer zurückgesetzt werden, damit ein durchgehender Spazierweg am Wasser entlang führt. Stell dir einen Bootsverein ohne direkten Zugang zum Wasser vor.«
»Verrückt«, meinte Jenny kopfschüttelnd.
Logo führte sie an die Seite des Steges und sie kletterten über ein paar Steine auf das Gelände des benachbarten Schwimmvereins. Das Ufer fiel hier flach ab. Ein Steg führte einige Meter hinaus auf den Fluss. Das trübe Wasser des Mains umspielte ein paar größere Steine. Zwischen ihnen lag die Tote, halb im Wasser, halb auf der Uferböschung unter dem Steg. Der Fundort war bereits fotografiert worden. Der Bereich war mit rot-weißem Band abgesperrt und drei Mitarbeiter der Spurensicherung in Schutzanzügen suchten die Umgebung ab. Hinter dem Absperrband standen einige Vereinsmitglieder und reckten neugierig die Hälse.
Der Prof beugte sich über die Leiche und war an einem großen Stoffstück zugange, das den Körper größtenteils bedeckte. Das Stoffstück war nass und schlammverschmiert, das Muster nur undeutlich erkennbar. Vorsichtig trat Jenny näher heran. Das Mädchen lag auf dem Rücken. Kopf, eine Schulter und ein Teil des Oberkörpers waren unbedeckt. Ihre Züge waren durch die Liegezeit im Wasser aufgeschwemmt und kaum erkennbar. Jenny schien der Körper kaum größer als 1,30 zu sein. Aber das konnte täuschen.
Der Prof stand auf und drehte sich um. Ungewöhnlich ernst nickte er Jenny zu. Wie immer war er angezogen, als würde er zu einer Vernissage gehen, und normalerweise hätte sie erwartet, mit einer Tirade über seine schlammigen Schuhe begrüßt zu werden. Die Mädchenleiche schien jedoch selbst ihn berührt zu haben.
»Fast noch ein Kind«, meinte er leise. »Sie war zu einem Paket verschnürt und an einem Schirmständer befestigt. Ich lasse sie jetzt abtransportieren und werde die Obduktion sofort vornehmen. Möchte jemand von Ihnen dabei sein?«
Logo machte unwillkürlich einen Schritt zurück. Im Gegensatz zu ihm war das jüngste Mitglied ihrer Abteilung, Sascha Meister, zu Logos Schrecken begeistert von allem, was die Gerichtsmedizin betraf. Es würde jedoch zu lange dauern, ihn herzubeordern.
»Ich komme mit«, beschied Jenny. Der Prof nickte kurz und winkte seinen Mitarbeitern, die mit einem Leichensack näher traten.
»Nehmen Sie mich in Ihrem Wagen mit?«, bat Jenny. »Logo, schnapp dir ein paar Uniformierte und befrag die Leute hier. Vorher setzt du dich mit der Wasserschutzpolizei in Verbindung. Ich will wissen, welche Schiffe hier vorbeigekommen sind. Wie lange mag sie hier liegen?«
»Gestern Abend fand hier im Verein ein Fest statt. Also höchstens seit heute Nacht.«
Jenny nickte. »Wir treffen uns später im Büro.«
*
Er war wieder da. Mit einem Lieferanten war er einfach in die Küche gekommen und hatte nach ihr gefragt.
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