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Artefakt

Artefakt

Titel: Artefakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Brandhorst
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Die Gase interstellarer Nebel huschten wie Wolkenfetzen einer planetaren Atmosphäre dahin. Einmal mehr bedauerte Rahil das Fehlen einer Rüstung. Auf seine gewöhnlichen, unverbesserten Sinne angewiesen, wusste er nicht, ob das, was ihm die Augen zeigten, tatsächlich der Realität entsprach.
    Das galt nicht nur für die Aussicht, die das große Fenster bot, sondern auch für den Mann, der dort im Sessel saß: entspannt zurückgelehnt, die Fingerspitzen aneinandergedrückt, in der schwarzen Uniform mit den silbernen Schulterspangen nicht eine Falte zu viel. Zwei der zehn Gardisten, die mit Coltan Jaqiello Tennerit an Bord gekommen waren, standen rechts und links neben der Tür, und gelegentlich warfen sie misstrauische Blicke in Richtung Sammaccan, der sich in einer Ecke des Raums auf einer Liege ausgestreckt hatte und schlief. Die Wächter wären gar nicht nötig gewesen, musste sich Rahil eingestehen. Sein Vater trug nicht nur eine Rüstung, sondern auch Femtomaschinen in seinem Körper – die kleinen Interfacemodule im rechten Ohr und am Nacken boten einen deutlichen Hinweis und verrieten einen technischen Standard, wie er vor dreißig oder vierzig Jahren bei der Ägide üblich gewesen war. Bedeutete das, dass sich die Unterstützung durch die Hohen Mächte in Grenzen hielt?
    Rahils Femtomaschinen funktionierten noch immer nicht, obwohl der Ascar längst das Schiff verlassen hatte, um den Eisschrein auf Caina zu besuchen und sich dort vermutlich einen neuen Ekdysis-Kokon zu spinnen. Das Interdiktionsfeld existierte nach wie vor, und vermutlich wurde es jetzt von seinem Vater kontrolliert.
    »Der Shifter wird von einem IKV gezogen«, sagte Rahil schließlich. »Wir sehen das All, aber wir sind nicht Teil davon. Wir befinden uns in der Blase eines Kontinuumschiffs.«
    »Eigentlich bewegen wir uns gar nicht«, sagte Coltan. »Das IKV verändert nur unsere Bezugskoordinaten.«
    Rahil fragte sich, ob sein Vater verstand, was er sagte. »Was bedeutet dies alles?«
    Coltan wölbte die Brauen. »Das ist alles? Fast hundert Jahre sind vergangen, seitdem du deinen Vater zum letzten Mal gesehen hast, und du fragst nur, was dies zu bedeuten hat? Freust du dich nicht, mich wiederzusehen?«
    »Du müsstest längst tot sein.«
    »Ich bin tot gewesen und wiederauferstanden, wie du.«
    »Wer steckt dahinter?«, fragte Rahil. Er stand noch immer am Fenster, den Sternen nahe und gleichzeitig durch mehr von ihnen getrennt als nur durch Distanz. Derzeit war er nicht mehr Teil des Universums dort draußen. »Vielleicht jene Stimme, die ich damals im alten Verlies gehört habe, nachdem du den Gefangenen umgebracht hattest.«
    Coltan runzelte die Stirn. »Was?«
    »Helles Licht kam, und dann erklang die Stimme, übersetzt von einem Interpreter. Du hast den Fremden › Exzellenz ‹ genannt. Zwei Tage später bin ich krank geworden. Weil ich dem Fraktalschatten eines schlecht abgeschirmten Kickouts ausgesetzt gewesen war.«
    Während er diese Worte sprach, regte sich ein Gedanke in ihm. Seine Schwester und er, sie waren als kleine Kinder genetisch manipuliert worden, oder vielleicht schon früher, noch im Mutterleib. Jazmine war deshalb an Bord der Rosenduft erkrankt, doch bei ihm hatten sich nie irgendwelche Symptome gezeigt. Konnte es sein, dass ihn jener Fraktalschatten davor bewahrt hatte, wie Jazmine zu erkranken?
    Coltan blieb zurückgelehnt sitzen, wirkte jetzt aber nicht mehr ganz so entspannt. »Du bist da gewesen?«
    Rahil ging nicht auf die Frage ein. »Ich nehme an, der Fremde war ein Repräsentant der Hohen Mächte. Von Plänen habt ihr damals gesprochen. Es ging letztendlich um die Herrschaft der Tennerits über das Dutzend.«
    Coltan lächelte. »Es geht um mehr, mein Sohn, um viel mehr.«
    Er erhob sich mit einer glatten, eleganten Bewegung, trat auf Rahil zu und umarmte ihn. Rahil war davon so überrascht, dass er stocksteif dastand und sogar den Atem anhielt. Sein Vater löste die Arme von ihm und wich einen Schritt zurück.
    »Das mit dem Ascar tut mir leid«, sagte Coltan. Sein Gesicht wirkte seltsam glatt. Auch das bot für den Blick des Eingeweihten einen Hinweis auf die Rüstung. »Ich habe keine andere Möglichkeit gesehen, dich aus der Gewalt der Ägide zu befreien.«
    »Aus der Gewalt der Ägide?«
    »Wir haben es mehrmals versucht«, fuhr Coltan fort, und Rahil nahm zur Kenntnis, dass er diesmal von »wir« sprach. »Einmal konnten wir dich erreichen, auf Principato in den Roten Nebeln, vor siebenundfünfzig

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