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Artefakt

Artefakt

Titel: Artefakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Brandhorst
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Atmosphäre des Planeten, und dort war Heraklon nicht mehr nur eine Kugel, sondern eine riesenhafte Welt, von der sich nur ein Teil durch die Löcher im Bug und in der Flanke des Shuttles zeigte. Sonnenschein glitzerte auf Seen und großen Binnenmeeren, strich funkelnd über die weißen Kappen hoher Berge und brachte ausgedehnten Wäldern Licht und Leben. Ohne die Erweiterung seiner Sinne kehrte für Rahil das Gefühl zurück, halb taub und blind zu sein, und hinzu kam die Benommenheit, die seine Gedanken träge machte. Er versuchte, einzelne Regionen des Planeten zu identifizieren, um sich von der Furcht vor dem nahen Tod abzulenken. Heraklon musste dem Rahil Tennerit, der dort unten vor etwa zwei Monaten gestorben war, vertraut geworden sein, aber die Erinnerungen des Toten – wenn sie überhaupt noch existierten – gehörten nicht zu dem Image, mit dem er wiedergeboren war. Vielleicht warteten sie bei Äguizabel auf ihn. So viele Fragen, dachte er müde. Und so wenige Antworten. Vielleicht war es das, was ihn am meisten daran störte, in wenigen Sekunden oder höchstens Minuten zu ersticken oder zu verbrennen: zu sterben, ohne zu erfahren, warum er sterben musste, ohne zu wissen, was es mit dem Artefakt auf sich hatte, und mit den Plänen der verschiedenen Gruppen und Mächte, die es in ihren Besitz bringen wollten.
    Ein Gesicht schaute ihn vom Planeten her an: zwei große runde Seen für die Augen, darunter ein langer, schmaler, der die Nase bildete, und wiederum darunter drei kleinere, ebenfalls rund, aber miteinander durch natürliche Kanäle verbunden. Daran erinnerte er sich deutlich – in den holografischen Bildern, die er sich vor einem Jahr während der Vorbereitungen auf die Mission angesehen hatte, waren diese Seen mehrmals erschienen. Er erinnerte sich an einen Gedanken: Heraklon sieht mich an . Im Westen davon erstreckten sich die Wälder des Tieflands Cimeno, und weiter im Norden ragte der »Wall« auf, ein Gebirge, dessen höchste Gipfel bis in die Stratosphäre reichten. Es geriet außer Sicht, noch während Rahil sich an den Namen zu erinnern versuchte.
    Ein Brummen ertönte um ihn herum, und das erschien ihm seltsam und absurd, denn im Wrack gab es längst keine Luft mehr. Dann begriff er, dass sich die Vibrationen des Bodens unter ihm in der Luft fortpflanzten, die im Innern des Schutzfelds gefangen war. Es ist die Ouvertüre meines Todes, dachte er und begann zu lachen, weil er das aus irgendeinem Grund komisch fand.
    Er schloss die Augen nur für einen Moment, und als er sie wieder öffnete, starrte er auf schwarzen Weltenfraß hinab. Die Reste des Bugs glühten in der Reibungshitze, Wolkenfetzen huschten vorbei, wie dunkle Schatten, vom Glühen kurz in geis terhaftes Licht getaucht, und darunter erstreckte sich eine Finsternis, die elektromagnetische Strahlung verschiedener Wellenlängen ebenso verschlang wie die Materie des Planeten. Mitten in dieser Schwärze, hoch im Norden, wie eine Spinne in ihrem immer größer werdenden Netz, lag das Artefakt und fraß Heraklon. Schade, dass wir nicht landen können, dachte Rahil am Rand einer dunklen Taubheit, die er als sehr angenehm empfand. Es sind nur zwei- oder dreihundert Kilometer. Wir könnten zum Artefakt gehen und …
    Und was?, dachte ein anderer Teil von ihm, der sich einen Rest von Klarheit bewahrt hatte. Glaubst du vielleicht, du müsstest nur anklopfen, um … von wem hereingelassen zu werden? Dem Schmied, der die Superschmiede in Betrieb genommen hat? Und willst du ihn fragen, was er schmiedet, wozu er die Masse des Planeten benötigt und was er mit ihr herstellt?
    Aus dem Brummen war ein Donnern geworden, das ihm die Trommelfelle zerriss. Oder vielleicht auch nicht, denn er hörte noch immer etwas, als das Donnern plötzlich aufhörte und einem Zischen wich wie von entweichender Luft.
    Ein Atemzug, der noch einige vereinzelte Sauerstoffmoleküle in Rahils Lunge brachte, noch ein müdes Blinzeln, und aus der Nachtseite des Planeten mit dem schwarzen Mal des Artefakts wurde heller Tag. Ein Wirbelsturm bildete sich über der blaugrünen Weite des südlichen Korallenmeers, und weiter vorn kam die Küste des Tausend-Hügel-Lands in Sicht, im Landesinnern die Große Graue Leere, wie die Einheimischen das tausend Kilometer breite Staubmeer nannten. Eine unangenehme, fast unzivilisierte Region mit nur einer großen Stadt am Westufer der Großen Leere: Jadoo, Hauptstadt von Applonia, einem von Heraklons neunzehn Nationalstaaten. Dort gab es

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