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Artefakt

Artefakt

Titel: Artefakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Brandhorst
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langen Sprung aufwies, und blickte nach draußen.
    Ein Lager aus Tausenden Zelten und ebenso vielen Hütten und Baracken erstreckte sich an den Hängen eines langen Höhenzugs mit einer pastellfarbenen Stadt zu seinen Füßen, ver mutlich Nabbuk. Überall im Lager waren Menschen unterwegs, junge und alte, Frauen, Männer und Kinder, zu Fuß, auf Karren, die von zotteligen Tieren mit langen, krummen Hörnern gezogen wurden, oder auf den Ladeflächen brummender, schnaufender Transporter, deren Antriebsmaschinen eine Mischung aus Verbrennungsmotor und Dampfmaschine zu sein schienen. Wenn es Verkehrsregeln gab, so wurden sie nicht beachtet, und das Ergebnis war ein wildes, insektenhaftes Gewimmel. Hier und dort standen Uniformierte auf Podien und Podesten, schwan gen Fahnen und versuchten, den Verkehr in geordnete Bahnen zu lenken, mit nur wenig Erfolg.
    Flüchtlinge, dachte Rahil. Dies ist ein Flüchtlingslager.
    »Die Menschen fliehen«, sagte er.
    Er hatte leise gesprochen, aber Lonora hörte ihn trotzdem. »Man kann es ihnen wohl kaum verdenken. Und dies ist nur die Spitze des Eisbergs. Was ich damit sagen will …«
    »Ich verstehe die Metapher. Dies hier ist erst der Anfang.«
    »Ja. Es ist nicht viel übrig vom Frieden auf Heraklon, Rahil. Der Fraß treibt die Völker nach Süden. Die alten Grenzen werden nicht mehr respektiert. Die Ägide hat viel zu spät eingegriffen; das war ein Fehler.«
    Es erstaunte Rahil, dass sie tatsächlich eingegriffen hatte. Daraus ließ sich der Schluss ziehen, dass das Kuratorium der Panik nahe war. »Was ist geschehen?«
    »Sie wissen es nicht?«, fragte Lonora hinter ihm, während er weiterhin aus dem Fenster sah und das Chaos im Flüchtlingslager beobachtete. Ein Strom aus Menschen ergoss sich über die Hänge zur Stadt und zum Hafen, wo man die Gerüste von sechs riesigen Staubschiffen vorbereitete. »Ich dachte, Sie sind Exekutor der Ägide.«
    »Das bin ich auch, wie Sie feststellen werden, sobald Sie den Signaturleser gefunden haben. Aber nicht nur hier auf Heraklon überstürzen sich die Ereignisse.«
    »Die Ägide hätte das Lagoni-System schon vor ein paar Jahren isolieren sollen. Mir scheint, im Kuratorium hat man den Ernst der Lage zu spät erkannt. Vor einem Monat sind mehrere Shifter in Jadoo eingetroffen. Es heißt, eine Spezialistengruppe will versuchen, das Artefakt unter Kontrolle zu bringen und den Fraß zu beenden.«
    Eine Spezialistengruppe, wiederholte Rahil in Gedanken. Vielleicht gehört ihr der andere Rahil Tennerit an. Der, den Milissa Gauwain für den richtigen hielt.
    Ihm fiel etwas ein. »Kennen Sie einen gewissen Äguizabel?«
    »Äguizabel? Wer soll das sein?«
    »Ein Verwahrer.« Mehr hat mir der Gesserat, der Zacharias genannt werden wollte, nicht verraten, dachte Rahil. Nur einen Namen habe ich von ihm bekommen, und etwas, das ein Titel oder eine Berufsbezeichnung sein könnte. Zu welchem Volk gehört dieser Äguizabel? In welcher Region von Heraklon ist er zu Hause? Wie dumm, hierherzukommen und einfach nur einen Namen zu nennen, in der Hoffnung, jemanden zu treffen, der ihn kennt und mir seine Adresse nennen kann.
    »Oh, ich bin erst seit zwei Monaten hier«, sagte Lonora und kramte noch immer in ihren Sachen. »Unsere Gruppe wollte bei der Evakuierung helfen. Inzwischen bin ich mir nicht mehr sicher, ob es eine gute Idee war, nach Heraklon zu kommen. Seit ein paar Tagen habe ich das Gefühl, dass wir hier alle Teil einer Lawine sind, die sich gerade in Bewegung gesetzt hat. Ah, hier ist er.«
    Die Volontärin kehrte mit etwas zurück, das nach einem kleinen Stift aussah. Das Objekt summte leise, als sie es auf Rahil richtete. »Sie tragen tatsächlich Femtomaschinen und …« Sie zögerte kurz und sah auf das kleine Display. »Der Exekutor-Status wird bestätigt.«
    Rahil ließ sich seine Erleichterung nicht anmerken.
    »Was auch immer er Ihnen gesagt hat, glauben Sie ihm kein Wort«, kam eine Stimme von der Tür.
    Lonora und Rahil drehten sich um.
    Coltan Jaqiello Tennerit stand dort in seinem Krankenkittel und mit einer über die Schultern geworfenen Decke. Er wirkte zehn Jahre älter als noch an Bord des Shuttles, und offenbar hatte er Mühe, sich auf den Beinen zu halten. Sein rechter Arm ruhte in einer Polymerschiene, ausgestattet mit Stimulanzringen für beschleunigte Heilung – medizinische Technik schien von der Interdiktion nicht betroffen zu sein. Ein Mann in Lonoras Alter, an seiner Kleidung ebenfalls ein Emblem des Volontariats,

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