Artefakt
Vereinzelte Tropfen klatschten aufs Blechdach, vielleicht die Vorboten weiteren Regens.
Das Innere des Gebäudes war in zahlreiche große und kleine Nischen aufgeteilt, und als Rahil den Kopf hob, sah er Männer und Frauen, die durch den Flur und die anderen Räume eilten. Nur wenige von ihnen trugen Kleidung aus synthetischen Stoffen, von einer Schmiede hergestellt. Die meisten Hosen, Hemden, Jacken und Mäntel schienen aus verarbeiteten Naturfasern zu bestehen. Es herrschte allgemeine Aufregung, und niemand achtete auf Rahil, als er aufstand und sich dabei sehr vorsichtig bewegte. Sein ganzer Leib fühlte sich wund an, aber es schien nichts gebrochen zu sein. Die Knie waren weich, vielleicht wegen der höheren Schwerkraft, gaben jedoch nicht unter ihm nach, als er die ersten Schritte machte.
Sie führten ihn zu seinem Vater.
Er lag direkt an der Wand, die zum einen Teil aus einem Blechsegment bestand, von dem der Lack bröckelte, und zum anderen aus einer fleckigen, im Wind knarrenden Plane. Mit geschlossenen Augen lag er auf dem Feldbett, die Decke bis zum Kinn hochgezogen, das schmale Gesicht eingefallen; blasse Haut spannte sich über hohen Wangenknochen, Bartstoppeln legten einen Schatten auf Wangen und Kinn.
Am Kragen des Schlafenden glänzte die silberne Nadel des Interpreters. Rahil streckte die Hand danach aus und nahm sie, hob dann die Decke an. Coltan Jaqiello Tennerit trug eine Art Krankenkittel, wie er selbst, und darunter klebten noch einige Überbleibsel der Rüstung an seinem aus einer biologischen Schmiede stammenden Leib.
»Oh, Sie sind auf den Beinen.«
Rahil drehte sich um und sah die junge Frau mit den rotbraunen Locken. »Es geht mir besser«, sagte er vorsichtig und versuchte, einen Eindruck von ihr zu gewinnen. »Was ich Ihnen zu verdanken habe, nehme ich an.«
Wieder fielen Tropfen aufs Blechdach. Rahil hob instinktiv den Kopf.
»Es wird bald schlimmer«, sagte die Frau. »Die Ausläufer des Wirbelsturms erreichen uns in der kommenden Nacht, und bis dahin sollten die Schiffe unterwegs sein und Nabbuk möglichst weit hinter sich gelassen haben. Andernfalls müssten sie demontiert werden, denn der Sturm würde sie zerfetzen, und wir wissen nicht, wie lange die Staubschiffe in Jadoo noch für die Evakuierung zur Verfügung stehen. Die Akkumulatoren der Segler sind dorthin unterwegs. Es heißt sogar, eine Logikbombe hätte die Datennetze des Raumhafens und der Konsulate getroffen.«
Sie hatte schnell gesprochen und teilte ganz offensichtlich die Aufregung der anderen Männer und Frauen, die hinter ihr noch immer durch die Nischen und Zimmer des Gebäudes hasteten – einige von ihnen führten humpelnde Verletzte und Kranke.
»Wie bitte?«, brachte Rahil hervor.
»Oh, entschuldigen Sie.« Die Frau kam einige Schritte näher. »Ich bin Lonora und gehöre zum Volontariat von Heraklon. Meine Freunde und ich, wir haben Sie aus dem Wrack des Shuttles geholt.«
»Ich heiße Rahil. Es ist noch etwas übrig geblieben? Vom Shuttle, meine ich.«
»Nicht viel. Und dass Sie überlebt haben, grenzt an ein Wunder. Nein, vielleicht ist es ein Wunder. Die anderen hatten nicht so viel Glück.«
Rahil deutete auf den Schlafenden und hätte fast »mein Vater« gesagt. In der einen Sekunde des Zögerns fiel ihm etwas ein.
»Dieser Delinquent lebt.«
»Oh«, sagte die Frau. »Delinquent?«
»Er hat gegen die Gesetze der Ägide verstoßen«, sagte Rahil. »Ich bin Missionar mit Exekutor-Status und wollte ihn zur Botschaft in Couron bringen.«
»Couron in Munraha?« Lonora klang skeptisch. »Das ist ziemlich weit weg. Zum Glück für uns, denn ein Ausläufer des Fraßes breitet sich dorthin aus.« Sie maß Rahil mit einem nachdenklichen Blick. »Der Mann dort soll ein Delinquent sein und Sie ein Exekutor der Ägide? Er trug eine Rüstung …«
»Ich habe Femtomaschinen in mir«, sagte Rahil schnell. »In der hiesigen Interdiktion funktionieren sie nicht, aber wenn Sie einen Signaturleser haben, können Sie damit meine Identität verifizieren.« Es sei denn, Milissa Gauwain hat den Exekutor-Status auf Eckrote löschen lassen, dachte Rahil, als er Lonora durch den Flur in ein anderes Zimmer folgte, in dem ein heilloses Durcheinander aus primitiven Geräten, Werkzeugen und analogen Informationsträgern herrschte. Während die junge Volontärin in dem Chaos nach einem Gerät suchte, das die Identitätssignale passiver Femtomaschinen erfassen konnte, trat Rahil zum breiten Fenster, dessen Scheibe einen
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