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Artefakt

Artefakt

Titel: Artefakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Brandhorst
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der Clans oft selbst nannten, ohne dabei einen Unterschied zwischen sich und dem Segler zu machen. Aus gutem Grund. In den meisten Fällen waren sie fest mit ihm verwachsen: biologische Komponenten des Seglers, die ihren menschlichen Ursprung weit hinter sich gelassen hatten. Und die Segler waren über Datenbrücken untereinander verbunden und somit Teil eines größeren Ganzen, eines Schwarms, auch wenn die Entfernung unter ihnen Lichtjahre betrug. Die Übertragung der Signalketten – die Gedanken des Schwarms – konnte also Jahre dauern, aber was bedeutete das schon für kybernetische Geschöpfe, die relativistisch lebten und deren Lebenserwartung sich auf Tausende von Jahren belief?
    Der Shuttle, aufgerissen und energetisch tot, drehte sich, und als erneut Heraklon und der Segler vor dem offenen Bug erschienen, sprang ein Licht von einer der Gondeln in den Gespinsten und kam rasend schnell näher. Rahil glaubte an den Einsatz einer Waffe und überlegte, warum sich der Segler die Mühe machte, auf das Wrack zu schießen, von dem keine Gefahr für ihn ausging. Dann sah er, dass der vermeintliche Energietorpedo in Wirklichkeit ein Assimilierer war, vermutlich gesteuert von einem Biomodul, und er hielt nicht auf den Shuttle zu, sondern auf den Ägide-Satelliten, der ihn in ein Wrack verwandelt hatte.
    Die Erschütterungen wurden heftiger, und Rahil beobachtete, wie sich Metall- und Verbundstofffetzen von den Rändern des großen Lochs lösten und weggerissen wurden. Heraklon wuchs vor ihnen, größer als Eckrote, größer als Greenrose oder die alte Erde auf der anderen Seite des Sagittariusbruchs: eine blaugrüne Kugel mit einem Durchmesser von sechzehntausend Kilometern und einer Schwerkraft, die um etwa zwölf Prozent über der Norm lag.
    Wir werden schwer sein dort unten, dachte Rahil, um gleich darauf die Dummheit dieses Gedankens zu erkennen; offenbar hatten Aktivität und Effizienz der Femtomaschinen bereits stark nachgelassen. Es war ein dummer Gedanke, weil sie den Plane ten mit ziemlicher Sicherheit gar nicht lebend erreichen würden.
    Aus dem Augenwinkel sah Rahil, wie das Schutzfeld des Gardisten, der rechts neben Sammaccan saß, plötzlich flackerte und verschwand. Der Mann schwebte in die Höhe, schnappte im Vakuum vergeblich nach Luft … und wurde gegen die Wand geschleudert, als etwas dichtere Atmosphäreschichten den Shuttle abbremsten und seine Drehung veränderten. Dort blieb er hängen, von der Zentrifugalkraft festgehalten, die Augen bereits vereist.
    Aber er wird nicht lange in Eis erstarrt bleiben, dachte Rahil benommen. Die Reibungshitze wird ihn braten, und uns mit ihm.
    Sammaccan sah ihn an, sein Gesicht eine Fratze. Der Mund bewegte sich, aber natürlich hörte Rahil kein Wort.
    Wieder erschien der Segler; der Ägide-Satellit hing fest im Griff des Assimilierers – seine Technik war ein kostbarer Schatz für den Schwarm.
    Eine heftige Erschütterung erfasste den Shuttle, und plötzlich gab es dort, wo eben noch die Leiche gewesen war, ein weiteres Loch. Mit den immer noch erweiterten Sinnen konnte Rahil ein orbitales Trümmerfeld aus Resten anderer Satelliten und vermutlich mehreren auseinandergebrochenen Raumschiffen wahrnehmen. Der Shuttle war mitten hindurchgeflogen, und eigentlich konnten sie von Glück sagen, dass er nicht völlig zertrümmert worden war.
    Heraklon wanderte vom Bug zur Seite, kehrte dann nach vorn zurück, eine Welt, verunstaltet von einem schwarzen Krebsgeschwür, von einem dunklen Fraß, der die arktischen Regionen ganz verschlungen hatte und weite Ausläufer nach Süden streckte.
    Schlagartig schrumpfte Rahils Welt, als das stärker werdende Interdiktionsfeld die Femtomaschinen deaktivierte. Technik oberhalb der Stufe drei funktioniert nicht mehr, dachte Rahil und versuchte, sich daran zu erinnern, was das konkret bedeutete. Seine Gedanken flogen nicht mehr, sondern krochen träge dahin, und einer von ihnen hatte eine Erklärung dafür, die Rahil erschreckte und einen Adrenalinschub auslöste. Sie lautete: Kohlendioxid. Er erstickte nach und nach an der Luft, die er ausatmete, weil der Sessel zwar über eine autarke Energieversorgung verfügte, nicht aber über einen separaten Gasrecycler. Vielleicht erstickte er, bevor er zusammen mit den anderen verbrannte. Er fragte sich, was weniger unangenehm war: nach und nach das Bewusstsein zu verlieren oder innerhalb eines Sekundenbruchteils in der enormen Reibungshitze zu verglühen.
    Das Wrack tauchte tiefer in die

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