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Artefakt

Artefakt

Titel: Artefakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Brandhorst
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»Es war kein Krieg«, sagte er dann. »Jedenfalls kein richtiger. Es war ein Konflikt zwischen den Arrospide von Lautaret und der damaligen Ersten Mutter.«
    »Du gehörst zur Familie jener Ersten Mutter, habe ich recht?«, fragte Coltan.
    »Der Konflikt wurde beigelegt.« Sammaccan trat nach einem Stein.
    »Aber nicht vergessen. Ich habe gehört, die Vogelmenschen vergessen nie etwas, vor allem dann nicht, wenn sie sich bei Geschäften übervorteilt glauben. Die damalige Erste Mutter hat sich für sehr schlau gehalten.«
    Sammaccan zischte wie eine Schlange.
    »Was bedeutet das alles?«, fragte Rahil und ahnte neue Schwierigkeiten.
    »Es bedeutet, dass dein Assistent …« Coltan gab diesem Wort einen spöttischen Klang. »… in Lautaret Probleme bekommen könnte. Große Probleme. Die Arrospide sind noch immer eine der einflussreichsten Familien in den › Nationen der Täler ‹ , und wie gesagt: Sie vergessen nichts. Oh, sie haben ihre Vorstellung von Ehre und halten sich daran. Mit anderen Worten: Sie achten die damals mit der Ersten Mutter von Munraha getroffenen Vereinbarungen. Aber sie mögen keine Polymorphen in der Nähe ihrer Nester, und wenn sie erfahren, dass jemand aus der Familie der Ersten Mutter da ist … Sie könnten auf die Idee kommen, für damals Vergeltung zu üben.«
    Rahil ging etwas schneller und schloss zu Sammaccan auf. »Stimmt das?«
    »Dass die Arrospide unter den Nationen der Täler und Schluchten noch immer einen Groll gegen die Nachkommen der damaligen Ersten Mutter hegen? Ja, es stimmt.«
    »Droht dir in Lautaret Gefahr?«
    »Ich behalte diese Gestalt«, brummte Sammaccan. »Ich sehe aus wie du, wie ihr. Und ich bin Assistent eines Exekutors der Ägide.«
    Rahil hörte den Stolz in diesen Worten. »Du hättest mich darauf hinweisen sollen.«
    »Warum? Der Verwahrer ist wichtig für dich, ja? Er ist vielleicht im Besitz deiner Erinnerungen, ja?«
    »Ja, aber …«
    »Mit der Lokomotive kommen wir nicht weiter, Rahil Tennerit. Und zu Fuß ist der Weg nach Norden zum Artefakt viel zu weit. Wir brauchen ein Transportmittel, ja? Die Vogelmenschen haben Luftschiffe und Flugboote. Damit kommen wir schnell voran.«
    Rahil nahm zur Kenntnis, dass Sammaccan weder Munraha noch Waffen für den Befreiungskampf der dortigen Männer erwähnte. Es ging ihm um die Mission, um das Artefakt, und er war bereit, sich dafür in Gefahr zu begeben.
    »Ich verstehe, mein Freund«, sagte er und klopfte dem Polymorphen auf die Schulter. »Und ich danke dir.«
    »Es ist die Pflicht, Rahil Tennerit«, erwiderte Sammaccan. »Die Pflicht ist wichtig, nicht wahr?«
    »Ja«, sagte er langsam. »Ja, die Pflicht ist wichtig.«
    »Hängt davon ab, in wessen Diensten man steht, mein Sohn«, warf sein Vater von der anderen Seite der Gleise ein.
    Sie gingen schweigend weiter, Rahil tief in Gedanken versunken, und eine halbe Stunde später erreichten sie einen Bahnhof am Rand der Schlucht mit den Nestern von Lautaret. Die Gebäude lagen dunkel da, und nichts regte sich im schwachen Licht der Polis, die schnell über den Himmel wanderte. Hinter dem Bahnhof teilten sich die beiden Trassen, deren Verlauf sie bis hierher gefolgt waren. Eine führte nach Westen, nach Mudrick bei den Zwei Großen Flüssen, die anderen nach Norden in Richtung Munraha, durch einen v-förmigen Einschnitt zwischen zwei hohen Bergrücken, an deren Hängen sich hier und dort Lichter zeigten. Aus der Schlucht hinter dem Bahnhof kam nicht nur ein sanftes Glühen, sondern auch ein Brummen, das Rahil nicht zu deuten wusste.
    Als sie sich einer Treppe näherten, die zwischen hoch aufra genden Felsen in die Schlucht führte, traten plötzlich zwei Gestal ten aus dem Schatten des letzten Bahnhofsgebäudes. »Wer seid ihr?«, säuselte die eine. »Woher kommt ihr?«, sang die andere.
    So hörte es sich an: wie eine Mischung aus Flüstern und Gesang, die Stimme des Windes in den Baumwipfeln eines dichten Waldes. Einer der beiden Vogelmenschen hob etwas, das nach einer Armbrust aussah, und Rahil erinnerte sich daran, dass diese Waffen Pressluft und kleine Bolzen verwendeten, die mit Gift bestückt sein konnten – in dem Fall wäre jede Verletzung tödlich gewesen.
    Rahil trat an Sammaccans Seite und entschied, zumindest teilweise bei der Wahrheit zu bleiben. Dass er nicht von Heraklon stammte, ließ sich kaum verbergen. »Ich bin Exekutor der Ägide«, sagte er. »Und dies sind meine beiden Assistenten.« Er verließ sich darauf, dass der Interpreter richtig

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