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Artefakt

Artefakt

Titel: Artefakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Brandhorst
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alles still, bis auf die Stimme des Windes.
    »Dort oben wird noch immer gekämpft«, sagte Rahil leise.
    »Was ist mit den neuen Menschen, den Humax, passiert?«, fragte Sammaccan. »Sind damals welche entkommen? Und was wurde aus ihren … Brutmaschinen?«
    »Von den Welten und Basen der Diaspora blieb nichts übrig. Und wenn einige der Humax dem Weltenbrand entgingen, so sind sie längst tot, ohne Nachkommen hinterlassen zu haben.«
    Rahil beobachtete, wie sein Vater aus einem anderen Gebäude kam als dem, das er vor einigen Minuten betreten hatte. Seine Hände waren leer; offenbar hatte er keine Lebensmittel gefunden.
    »Mein Partner hat mir eine traurige Geschichte erzählt«, sagte Sammaccan, als Coltan Jaqiello zurückkehrte. »Jetzt verstehe ich die Geschichte der Stummen Zeugen.«
    »Du verstehst sie«, fügte Rahil hinzu. »Aber er versteht sie nicht.«
    Coltan zuckte die Schultern. »Hier gibt es nichts zu essen. Die Einwohner haben alles mitgenommen, als sie das Tal verließen.« Er deutete auf die Lokomotive. »Ist die Lok repariert? Können wir weiter?«
    »Ich weiß nicht, wie man das Lager wechselt«, erwiderte Sammaccan. »Ich kann eine Lokomotive fahren, aber sie nicht reparieren. Dazu sind Mechaniker da, für Reparaturen. Ich bin der Sohn der Ersten Mutter.«
    »Und wenn schon«, brummte Coltan, stapfte zur Lok und kletterte ins Führerhaus.
    Rahil und Sammaccan folgten ihm. »Hält das Lager bis Lauta ret?«, fragte Rahil.
    »Das wird sich zeigen.«

Wie schwer sind Wahrheit und Lüge,
Wenn die Wirklichkeit nur ein Schein,
Wenn man nie kann sicher sein,
Was sich zur Realität zusammenfüge?
    Lautaret
    39
    Sie hatten bis zum Mittag in Lautaret sein wollen, aber Sammaccan schonte das quietschende Lager, indem er langsamer fuhr, und sie mussten an einer weiteren verlassenen Station anhalten und Wasser und Brennstoff aufnehmen. Der große Behälter an den Gleisen enthielt nur noch wenig Kohle, nicht einmal genug, um ein Viertel des Tenders zu füllen, und die geringere Geschwindigkeit sollte auch gewährleisten, dass sich der Appetit der Lok in Grenzen hielt. Am späten Nachmittag, als die Sonne hinter den Bergen verschwand und es erstaunlich schnell kühler wurde, obwohl sie sich noch immer in der Nähe der tropischen Zone von Heraklon befanden, kam ihnen ein Zug entgegen.
    Eine Rauchwolke im Nordwesten kündigte ihn schon von Weitem an. Zuerst befürchteten sie, dass der Rauch von einem großen Feuer aufstieg, dass vielleicht Lautaret in Flammen stand, weil dort Trümmer eines Raumschiffs oder Satelliten niedergegangen waren; oder vielleicht hatte ein Angriff der Segler stattgefunden. Aber Sammaccan veränderte seine Augen, sah aus dem Fenster und meinte schließlich, es sei ein Zug, zum Glück unterwegs auf der anderen Trasse, die schon seit einer ganzen Weile parallel zu ihren Gleisen verlief.
    Es war ein langer Zug, mehr als einen Kilometer lang schätzte Rahil, und zwei Lokomotiven zogen ihn, beide größer als die, mit der sie unterwegs waren. Der Lokomotivführer sah Rahil nur für ein oder zwei Sekunden, als sich die Loks begegneten, gerade lange genug, um einen Blick in ernste, rußgeschwärzte Gesichter zu werfen. Es folgte eine schier endlose Kolonne aus grauen und braunen Waggons, einige von ihnen geschlossen, die meisten offen, die auf ihnen sitzenden und liegenden Flüchtlinge Wind und Wetter ausgesetzt. Männer und Frauen, Alt und Jung, aus drei oder vier Generationen bestehende Großfamilien, sie alle flohen vor dem hungrigen Artefakt im Norden, das immer größere Teile des Planeten verschlang. Auch Verletzte befanden sich unter der menschlichen Fracht, die die beiden Lokomotiven nach Süden zogen, viele von ihnen nur notdürftig verbunden, wie es schien.
    »Sind das Flüchtlinge aus Lautaret?«, wandte sich Rahil an Sammaccan. Der Lärm war so groß, dass er schreien musste, um sich verständlich zu machen.
    »Nein«, erwiderte der Polymorphe und schaufelte Kohle durch die offene Klappe. »Ich vermute, der Zug kommt aus Mudrick bei den Zwei Großen Flüssen im Westen. Dort gibt es eine Verbindung nach Norden. Das dort …« Er nickte in Richtung des vorbeirauschenden Zugs. »… sind vor allem Ambagi aus Katanien. Mudrick ist die zweitgrößte Stadt von Katanien, Rahil Tennerit«, fügte Sammaccan hinzu, gab eine weitere Schaufel Kohle in den Ofen und schloss die Klappe. »Dort werden gute Dampfmaschinen hergestellt. Meine Mutter hat viele solche Maschinen aus Katanien

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